BMWi veröffentlicht Studie zu Warnhinweisen als Mittel gegen Internetpiraterie

Heute hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die Ergebnisse der 402 Seiten starken Auftragsstudie „Vergleichende Studie über Modelle zur Versendung von Warnhinweisen durch Internet-Zugangsanbieter an Nutzer bei Urheberrechtsverletzungen“ (Pressemitteilung vom 03.02.2012, Kurzfassung (≈ 100 kB), Langfassung (≈ 10 MB)) vorgestellt. Im Kern geht es darum ob sich das Warnhinweismodell bei unauthorisierten Downloads — in der Studie auch als „vorgerichtliches Mitwirkungsmodell“ bezeichnet — auch für Deutschland zur Bekämpfung der Internetpiraterie eignen würde. Die Mitwirkung bezieht sich auf den Zugangsprovider, da nur dieser die IP-Adresse einem konkreten Anschlussinhaber mit Namen und Adresse zuordnen kann.

Nicht wirklich überraschend besteht Klarheit über die Ursachen der Rechtsverlertzungen:

Die Ursachen für solche Rechtsverletzungen liegen im technologischen Fortschritt und im mangelnden Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein der Nutzer begründet.

Das der technische Fortschritt das Kopieren erst ermöglicht ist logisch, dennoch ist die Technik weniger die Ursache als das Werkzeug. Auf die Problematik, daß es keine einfach zu benutzenden legalen Angebote gibt, wird nur in einem kurzen Halbsatz eingegangen.

Wie die Studienmacher selbst zugeben, verliert sich Vieles, was zu einer endgültigen Beurteilung der Wirkung von Warnhinweisen notwendig wäre, im Vagen:

Positive Auswirkungen im Sinne einer Verhaltensänderung sind nicht nachgewiesen, aber auch nicht auszuschließen.

Durch Piraterie verursachte Umsatzrückgänge der betroffenen Branchen lassen sich bei einer Betrachtung eines gesamten Industriezweiges kaum feststellen. Für einzelne Bereiche sind andauernde Umsatzrückgänge zu verzeichnen und Piraterie als Mitursache hierfür sehr wahrscheinlich. Nachweise sind insoweit nur bedingt erbracht. Die Urheberrechtsverletzungen wirken sich volkswirtschaftlich insgesamt kaum aus.

Methodische Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Beeinträchtigungen bestehen darin, dass Berechnungen auf einem hypothetischen Alternativverhalten der Nutzer beruhen und dass Effekte von Piraterie schwer zu bestimmen, geschweige denn zahlenmäßig anzugeben sind.

Die kurzzeitigen Erfahrungen aus Frankreich und Irland erlauben nur begrenzt Rückschlüsse auf die Effizienz von Warnhinweisen.

Hierzu bemerken die Studienmacher zu Irland aber an:

Daten zu messbaren Auswirkungen des Modells auf die Internetpiraterie liegen vor, sind aber nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

Dann kann man wohl davon ausgehen, daß die Zahlen nicht im Sinne der Erfinder ausgefallen sind. Anders ausgedrückt, das Modell ist wirkungslos. Mindestens aber liefert somit Irland keinerlei Hinweise, die für die Beurteilung zu Hilfe genommen werden können.
Es wird mehrmals darauf hingewiesen, daß Rechtsverletzungen nur bei P2P überhaupt erfasst werden können:

Alle diese Modelle erfassen allein Urheberrechtsverletzungen, die über das Hoch- und Herunterladen von Daten in P2P-Netzwerken erfolgen. Diese Eingrenzung ist erforderlich, weil nach dem aktuellen Stand der Technik nur Rechtsverletzungen über P2P-Netzwerke erfasst werden können. P2P-Nutzung macht einen wesentlichen Anteil der Verletzungen aus.
[…]
Soweit vom Rechteinhaber der Nachweis einer konkreten Rechtsverletzung abverlangt wird, beschränken sich nach derzeitigem Stand der Technik die Möglichkeiten der Verfolgung auf Rechtsverletzungen in Peer-to-Peer -Netzwerken. Andere Technologien bleiben derzeit aus technischen Gründen außen vor, so dass unrechtmäßiges Verhalten im Internet von vorne herein nur in begrenztem Rahmen überhaupt erfasst werden kann.

Der P2P-Verkehr läßt sich relativ einfach durch Einklinken eines P2P-Clients einsehen, nichts Überraschendes bis hierhin, aber diese Aussage steht im krassen Widerspruch zur der kürzlichen Forderung der GVU eine Beweislastumkehr bei Filehostern zu fordern und dem rigiden Vorgehen im Fall Megaupload und Kim Schmitz. Obwohl nur Rechtsverletzungen im P2P-Verkehr gemessen werden können, wird dennoch mit Zahlen zum Anteil des P2P am Gesamtumfang der Rechtsverletzungen operiert. Man geht davon aus, daß der Großteil der unauthorisierten Downloads über P2P erfolgt (DE: 20%, GB: 37%). Nimmt man diese Zahlen als wahr an, bedeutet dies umgekehrt, daß 63%-80% aller unauthorisierten Downloads über andere Wege erfolgen. Das Problem an diesen Werten liegt aber woanders. Da man nur den P2P-Verkehr abschätzen kann, benötigt man zur Berechnung des Anteils noch eine weitere Größe: den Gesamtumfang unauthorisierter Downloads. Diese Größe ist aber eine Unbekannte, da man nur den P2P-Verkehr ermitteln kann! Daher auch ihre vage Formulierung „man geht davon aus“.

Im angestrebten „vorgerichtlichen Mitwirkungsmodell“ sollen Urheberrechtsverletzungen durch die Rechteinahber festgestellt werden, die IP-Adresse an den Zugangsprovider gemeldet werden und dieser daraufhin zwei Dinge veranlassen:

  1. Dem Anschlussinhaber einen rechtsfolgenlosen Warnhinweis übermitteln.
  2. Den Anschlussinhaber in eine Liste beim Zugangsprovider aufnehmen.

Gegenüber dem Rechteinhaber bleibt der Anschlussinhaber zunächst anonym. Der Rechteinhaber hat aber Zugang zu einer anonymisierten Version der schwarzen Liste beim Provider und kann den Schwellenwert festlegen, bei welcher Anzahl an Rechtsverletzungen er weitere rechtliche Schritte einleiten will. Diese würden dann wie bisher erfolgen. Das Modell hört sich in der Theorie besser an, als die gegenwärtige Vorgehensweise, da derzeit jeder sofort eine Abmahnung erhält.

Beim vorgeschlagenen Warnhinweismodell wäre eine gewisse Zahl an abgestuften Warnungen rechtsfolgen- und kostenfrei. Im Modell wird allerdings keinerlei Aussage darüber gemacht, in welcher Form die Provider die Warnmeldungen zustellen sollen/müssen, schließlich ist dem Provider nicht zu jedem Anschlussinhaber auch eine e-Mailadresse bekannt. Die Provider stellen zwar meist eine zur Verfügung, nur wird diese (sinnvollerweise) von vielen Kunden nicht benutzt. In Frankreich erfolgen Zustellungen mit einem Mittel, welches das Zustelldatum verifizierbar macht (i.d.R. Einschreiben). Darüberhinaus wären die Provider nicht verpflichtet den Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen und ggf. zu drosseln oder zu sperren. Bei den Providern würde der Aufwand für die Warnmeldungen Kosten verursachen, welche dann wohl auf die Zugangskosten umgelegt werden würden. Knackpunkt bleibt die Festlegung des Schwellenwertes. Im Vorschlag bestimmt der Rechteinhaber was er als geschäftsmäßig ansieht und was nicht. Auch scheint es fraglich, ob sich wirklich etwas an der gelebten Praxis ändern würde, denn die Rechteinhaber hätten bereits jetzt die Möglichkeit, Warnbriefe an die Anschlussinhaber zu verschicken, was aber nicht getan wird, wie die Abmahnwellen zeigen. Für die Rechteinhaber hingegen wäre es deutlich einfacher an die Adressen der Providerkunden zu kommen, da kein Gerichtsbeschluss mehr notwendig wäre (auch wenn die Richter derzeit die Anträge nur lasch prüfen und abzeichnen).

Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack und die begründete Vermutung, daß das Warnhinweismodell keine wesentlichen Verbesserungen für den Bürger darstellen würde:

  1. Die Rechteinhaber werden nicht verpflichtet ausreichend legale Angebote zu schaffen, obwohl diese angenommen werden:

    […] wobei da, wo legale Substitute zu den Piraterieangeboten existierten, die Abkehr von der Illegalität dauerhaft war.

    Eine solche Verpflichtung wäre rechtlich auch nicht durchzusetzen, denn niemand kann und sollte letztlich zu einem Geschäftsmodell gezwungen werden.

  2. Einige Rechteinhaber verdienen an den Abmahnungen sehr gut, warum sollten sie in Zukunft darauf verzichten?
  3. Es wird die Grundlage für die Infrastruktur zur Überwachung des Datenverkehrs geschaffen. Es ist dieselbe Art der geistigen Formung wie beim ACTA-Abkommen.
  4. Die Rechteinhaber haben sich in der Vergangenheit weder als flexibel, noch als kundenorientiert erwiesen. Es ist vorhersehbar, daß das Modell der Warnhinweise nur die erste Scheibe der berühmten Salami sein wird. Auch wenn sich die Studie in der Summe Netzsperren gegenüber eher ablehnend äußert, werden, wenn das Warnhinweismodell erst einmal etabliert und politisch akzeptiert ist, umgehend Forderungen zu Netzverkehrfilterung, Anschlussdrosselung und ~sperrung laut werden. Man kennt dies bereits von der Diskussion um die Internetsperren bei Kinderpornografie, da wurden mit zeitlicher Verzögerung auch Sperren bei anderen Delikten, u.a. bei Urheberrechtsverletzungen, eingefordert.
  5. Das Problem zur Ausarbeitung eines zeitgemäßen Urheberrechts und der Vergütung der Kreativen wird bei Einführung des Warnhinweismodells für lange Zeit vom Tisch sein.
  6. Derzeit steht die Politik, namentlich die der CDU, der Einführung von rigiden Maßnahmen jeglicher Art sehr wohlwollend gegenüber. Es ist nicht zu erwarten, daß weiteren Ansprüchen seitens der Rechteinhaber Einhalt geboten werden würde.

Da das Modell der Warnhinweise nur das bestehende, nicht mehr zeitgemäße Urheberrechtssystem am Leben erhält und in weiteren Schritten schwerwiegende Grundrechtseingriffe und eine Teilprivatisierung der Justiz durch eine automatisierte Sanktionierung des Anschlussinhabers durch den Rechteinhaber über den Provider zu erwarten sind, bleibt das Modell abzulehnen.

Nachtrag 04.02.2012:
Das Justizministerium spricht sich weiterhin gegen Warnhinweise und Netzsperren aus.

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