Versuch einer Aufarbeitung eines Amoklaufs an der Tastatur

Zunächst war man nach dem Lesen des Gastkommentars im Handelsblatt von Ansgar Heveling sprachlos, dann hat man herzlichst gelacht schließlich dem Spott das Schlachtfeld überlassen. Doch nun verzieht sich allmählich der Pulverdampf von einschlagenden Keulen und es beginnt die Zeit der Aufarbeitung. Wie konnte es soweit kommen und vor allen Dingen, was war der Auslöser? Welches Trauma war das auslösende Moment dieses Amoklaufs an der Tastatur? Unternehmen wir also den Versuch einer sachlichen Betrachtung des Vorfalls „Gastkommentar“. Geben wir uns Mühe den Täter zu verstehen.

Hier die wichtigsten Eckdaten zu seiner Person:

  • 1972 geboren
  • Schule: ja, katholisch
  • CDU-Mitglied
  • MdB
  • Ordentliches Mitglied im Rechtsausschuss
  • Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien
  • Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft
  • Experte für Urheberrechtsfragen in der CDU

Wir haben es hier also mit jemandem zu tun, der auf Entscheidungsprozesse zu wichtigen Fragen für die Zukunft dieses Landes einen wesentlichen Einfluss hat. Er ist nur insofern hinterbänklerisch, als das ihn so gut wie niemand kennt und er bisher mehr subversiv tätig war.

Zunächst einmal hat jeder das Recht seine Meinung zu äußern und sei sie noch so, sagen wir einmal, schwer verständlich. Auch ist es die ureigenste Aufgabe der Medien, Meinungen und Arbeitsergebnisse von Politikern an zentraler Stelle unverfälscht darzulegen, denn wie sonst soll sich der (wählende) Bürger über den Gang der Dinge informieren? Insofern kann man dem Handelsblatt keinen Vorwurf machen.
Auch muß klar gesagt werden, das keine Meinungsäußerung als Rechtfertigung für non-verbale Angriffe jedweder Art dienen darf, auch nicht für das Verändern der Homepage. Andererseits sind die Bedingungen unter denen Letzteres geschah schon wieder bezeichnend für die Kompetenz des Abgeordneten Heveling:

Benutzname: Heveling
Passwort: Ansgar

Hier ist sie wieder, diese lähmende Sprachlosigkeit. Es scheint, als sei er von Allem, was in den letzten Jahrzehnten zum Thema Internet und Sicherheit gesagt und geschrieben wurde, vollkommen unberührt geblieben, was eben die Frage aufwirft, was sonst noch alles nicht wahrgenommen wurde. Er arbeitet zwar nicht selbst direkt in einem sicherheitsrelevanten Bereich, dennoch beeinflussen seine Entscheidungen als Abgeordneter durchaus die Sicherheit Anderer (Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, Kernkraftwerke). Ihm scheint jegliches Gefühl für technische Sicherheit zu fehlen. Es könnte sein, das dies auf das Kernproblem hinweist: Konservatismus. Menschen werden dann als konservativ angesehen, wenn sie versucht sind, das Althergebrachte als status quo zu bewahren und Veränderungen so weit als möglich aus dem Weg gehen, bzw. aktiv zu verhindern suchen. Das Neue, das Unbekannte bringt Veränderung, es regt auf, es zerstört die gefühlte Sicherheit des Alten. Abenteuer sind nicht die Sache des Konservativen. Ist also sein Gastkommentar im Handelsblatt nur ein Zeichen von Angst vor der Veränderung?

Es ist der Kampf zwischen der schönen neuen digitalen Welt und dem realen Leben.

Auffällig ist zunächst, daß er nicht nur eine strikte Trennung zwischen der digitalen Welt und dem realen Leben vollzieht, sondern auch zwischen irrealer digitaler und realer Welt. Für ihn scheint die digitale Welt keine Realität zu sein. Was ist sie dann für ihn? Worin liegt für ihn der grundlegende Unterschied von Informationen auf einem Blatt Papier, zu denen auf einem Bildschirm? Oder ist er einfach nur von dem schnellen Fluss, eben der Veränderung, überfordert?

Während die „digital natives“ den realen Menschen zum Dinosaurier erklären, vergessen sie dabei, dass es sich bei dieser Lebensform um die große Mehrheit der Menschen handelt.

Auffällig auch hier wieder die zweifach ineinander geschachtelte Gegenüberstellung. Erneut die Wiederholung des Gegensatzes von Realität und Irrealität, von „digital natives“ zu realen Menschen aus dem Vorangegangenen. Worauf gründet sich seine Auffassung der Irrealität der „digital natives“? Sind sie für ihn so etwas wie das Konstrukt der „virtuellen Teilchen“ bei den Teilchenphysikern? Es ist nicht sofort sichtbar, warum er das Etwas am anderen Ende des Kabels nicht als Mensch, als Person wahrnimmt. Ein Hinweis bietet der Duktus seines ganzen Kommentars, er wählt durchgehend die Sprache des Krieges, er wähnt sich im Kampf von Gut gegen Böse. Aus Kriegseinsätzen weiß man, daß es tatsächlich ein gefühlsmäßigen Unterschied gibt, ob ein Soldat Mann gegen Mann antritt oder auf einen Knopf drückt, in dessen Folge dann ein Bombe abgeworfen, eine Rakete gestartet u.ä. wird. Auch hier findet sich eine Form von Entmenschlichung (nebenbeibemerkt hat er lt. eigenen Angaben die Ehrenmedaille der Bundeswehr erhalten).
Der zweite Inhalt dieses Satzes ist noch eigenartiger. Im ersten Teil erweckt er den Eindruck als ob es zwei Lebensformen gäbe, reale Menschen und (virtuelle?) „digital natives“, im zweiten Teil ordnet er diese dann wieder den Menschen zu, allerdings einer Minderheit. Auch bleibt unklar was ihn zu dem Schluss verleitet, die Zahl der Internetnutzer sei die Minderheit.

Auf Mehrheitsverhältnisse haben Revolutionen indessen nie wirklich Rücksicht genommen.

Da er im vorangegangenen Satz die „digital natives“ in die Minderheit gestellt hat, scheint er hier von einer Revolution einer Minderheit gegen die Mehrheit zu sprechen. Dies wäre dann allerdings wohl eher ein Putsch, denn es ist das Kennzeichen von Revolutionen, daß sie von unten kommend die herrschende, auf ihre Art konservative (i.S.v. den Zustand bewahren wollend), Minderheit hinwegfegen.
Bis zu diesem Punkt kann man wohl herauslesen, daß er sein vermeintlich sicheres Leben, durch eine aus dem Irrealen kommende „Dritte Art“, in irgendeiner Weise bedroht sieht. Klingt weltfremd, aber (menschliche) Ängste benötigen nicht zwingend ein objektive Grundlage in der Realität.

Die mediale Schlachtordnung der letzten Tage erweckt den Eindruck, wir seien im dritten Teil von „Der Herr der digitalen Ringe“ angekommen, und der Endkampf um Mittelerde stehe bevor. Das ist die Gelegenheit, schon jetzt einen vorgezogenen Nachruf auf die Helden von Bits und Bytes, die Kämpfer für 0 und 1 zu formulieren

Seine Wahrnehmung der Welt ist interessant. Seit Jahren durchdringt die Digitalisierung aller Bereiche unseres Lebens. Die Mehrheit der Menschen in den Industrienationen merkt in vielen Fällen nicht einmal mehr, wenn Computer im Hintergrund werkeln. Die Computer sind zu einem ganz normalen Werkzeug, wie einst der Faustkeil, geworden.

Ist er wirklich der Meinung, sich in der letzten Schlacht zu befinden, an deren Ende die totale Niederlage des Digitalismus steht? Ist er, immerhin geboren zum Zeitstempel 0078966000, tatsächlich derart rückwärtsgewand? Auch bleibt er die Antwort schuldig, warum früher alles besser gewesen sein soll. Ihm gelingt es nicht wirklich seine Botschaft darzustellen.

Und das ist nicht die Offenbarung eines einsamen Apokalyptikers, es ist die Perspektive eines geschichtsbewussten Politikers.

Lehrt die Geschichte nicht eher, daß bisher der menschliche Erfindergeist immer dann Sieger geblieben ist, wenn die Erfindungen es in den Alltag geschafft haben? Er macht nicht klar aus welchem(n) geschichtlichen Ereignis(sen) er seine Erkenntnis gewinnt.

Auch wenn das Web 2.0 als imaginäres Lebensgefühl einer verlorenen Generation schon bald […]

Für wen oder was hier, welche Generation verloren ist, verliert sich im Dunkel. Die Nutzung des Internets zieht sich inzwischen durch alle Generationen. In diesem Zusammenhang von Generationenkonflikt zu sprechen erscheint mir falsch. Denn es gibt zahlreiche Ältere und Alte die sich noch Computer angeschafft haben, zunächst um der Teilhabe willen, ihn dann später aber einfach als Werkzeug nutzend. Viele Ältere sind weitaus aufgeschlossener als er.

[…] Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur […]

Richtig ist, daß es den größten Teil der Menschheitsgeschichte kein Internet, aber Kultur gab. Das eine bedingt nicht das andere. Auch richtig ist, daß es ebenfalls den größten Teil der Menschheitsgeschichte den Begriff „geistiges Eigentum“ einfach nicht gab, aber dennoch Kultur. Mithin besteht zwar eine Wechselbeziehung zwischen „geistigem Eigentum“ und Kultur, aber Kultur benötigt kein „geistiges Eigentum“! Im Grunde zitiert er an dieser Stelle seinen konservativen Parteikollegen Dr. Wolfgang Schäuble, der ähnlichen Unfug verbreitet (hat):

Kultur wie Marktwirtschaft gehen nicht ohne den Schutz geistigen Eigentums.

Auch Schäuble übersieht vollkommen, daß es Kultur und Handel schon weitaus länger gibt, als „geistiges Eigentum“.

Momentan macht sich eine eher negative Wirkung bemerkbar, denn durch die zunehmend rigiden Praktiken rund um das „geistige Eigentum“ kommt es durch Abnahme der Vielfalt in der Summe zu einer Kulturverarmung. Kulturelle Produkte, wie das Leben selbst, entstehen nie spontan aus sich selbst heraus, sondern basieren immer auf Vorläufern. Das derzeitige Modell von „geistigem Eigentum“ baut Grenzen, die diese Entwicklung unterbinden.

Diese bürgerliche Gesellschaft mit ihren Werten von Freiheit, Demokratie und Eigentum hat sich in mühevoller Arbeit aus den Barrikaden der Französischen Revolution heraus geformt – so entstand der Citoyen.

Fällt ihm nichts Größeres ein, als ausgerechnet das „geistige Eigentum“ auf die französische Revolution zurückzuführen? Ist das seine Lehre aus der Geschichte? Abgesehen davon, ist das, was uns heute als „geistiges Eigentum“ präsentiert wird erst später entstanden.

Es ist eine unheilige Allianz aus diesen „digitalen Maoisten“ und kapitalstarken Monopolisten, die hier am Werk ist.
[…]
Aber wir sollten uns zu wehren beginnen, wenn einzelne Menschen hinter den vielen Maschinen uns unsere Lebensentwürfe vorschreiben.

Die Monopolstellungen von Google, Facebook und Amazon werden durchaus auch bei den „digital natives“ kritisch gesehen. Nur hat das weniger mit dem Internet zu tun, als mit Monopolen als Solchen, denn diese gereichen der Gemeinschaft nicht zum Vorteil. Anscheinend fällt ihm nicht auf, das sein Lobbyeinsatz für die „geistigen Eigentümer“ – die nicht die Schöpfer sind – gerade eben erst kapitalstarke Monopolisten heranzüchtet, die die Macht haben Anderen Lebensentwürfe aufzuzwingen.

Das Wissen und vor allem die Weisheit der Welt liegen immer noch in den Köpfen der Menschen. Also, Bürger, geht auf die Barrikaden und zitiert Goethe, die Bibel oder auch Marx. Am besten aus einem gebundenen Buch!

Den ersten Satz kann man glatt unterschreiben, aber beim Zweiten wird es wieder wirr. Sollen die Bürger auf die Barrikaden gehen, weil sie jetzt leichter Zugang zum Wissen bekommen, nur weil es digital vorliegt? Welchen Einfluss hat seiner Meinung nach der (Daten-)Träger des Wissens auf das Wissen selbst? Wie kann ein digitaler Goethe schlechter, als ein papiergebundener sein?

Piraten sind jedenfalls dabei der schlechteste Ratgeber. Sie achten das Eigentum des anderen nicht, setzen ihr Wissen nur für den eigenen Vorteil ein, sind darauf bedacht, zusammenzuraffen, was sie von anderen kriegen können.

Sein ganzer Text ist derart verworren, daß an dieser Stelle nicht mehr klar ist, ob er hier die Piratenpartei oder tatsächlich (See)Piraten meint. Übrigens gehörten Seepiraten mit zu den ersten die ein Sozialsystem mit Rentenzahlung für ihre Leute schufen; Dennoch ist die Piratenpartei hier wohl das falsche Beispiel, denn der geht es ja gerade darum, Wissen für alle zugänglich zu machen und zu teilen, und auch um die Verhinderung der Entstehung kapital- und machtstarker Monopole.

Durch das komplette Fehlen von Sachargumenten in Ansgar Hevelings Gastkommentar spricht viel dafür, daß es sich um einen hochemotionalen Ausbruch handelt. Sein Text liest sich wie der eines von Verlustängsten geprägten Menschen, bei dem es außerdem in letzter Zeit (beruflich) nicht so richtig lief (immerhin ist der SOPA in den USA zunächst einmal auf Eis gelegt worden).
Was immer er wollte, es ist schwer vorstellbar, daß er erreicht hat, was er erreichen wollte. Aufmerksamkeit wollte er wohl, aber sicher nicht diese Art von Aufmerksamkeit. Dem Anliegen der Lobbyisten dürfte er mit seinem Amoklauf auch eher geschadet als genutzt haben.

Das eigentliche Problem ist aber, das er mit seiner Denkweise kein Einzelfall ist. Er ist nur derjenige, dem der Kragen geplatzt ist. Alles was mit dem Internet zu tun hat wird als zutiefst bedrohlich empfunden. Die Chancen moderner Technologie werden nicht wahrgenommen. Mit der bekannten Folge, daß man auch nicht mehr Teil des Fortschrittes ist, weil die Entwicklung andernorts stattfindet. An den Schaltstellen der Politik sitzen viele solch verängstigter, rückwärtsgewandter und vor allen Dingen fachfremder Geister. Diese Haltung kommt dem Selbstmord einer Industrienation gleich.

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