EuGH kippt EU-Richtlinie zur VDS, nicht aber die VDS selbst

Heute hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil zur Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) bekannt gegeben: Die Richtlinie ist unrechtmäßig, da unverhältnismäßig!

Was sich zunächst nach einem Riesenerfolg für die Gegner der VDS anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen mehr als eine vorläufige Niederlage der VDS-Befürworter, denn es wurde nur die Richtlinie gekippt, nicht jedoch die VDS grundsätzlich in Frage gestellt. Ähnlich hatte auch das BVerG in der Sache geurteilt. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis die Überwachungsfanatiker in SPD und insbesondere der CDU/CSU eine neue Regelung präsentieren werden. Angekündigt haben sie es bereits. Dem EuGH ist die Richtlinie schlicht nur zu unspezifisch formuliert. Mit der Begründung im Urteil haben die Richter den VDS-Befürwortern auch gleich konkrete Verbesserungsvorschläge für die nächte Richtlinie an die Hand gegeben.

Die wichtigsten Punkte des Urteils (Urteil ECLI:EU:C:2014:238, Zusammenfassung) im Einzelnen. In Punkt 51 bestätigt das Gericht der VDS sinnvoll zu sein, weil sie dem Gemeinwohl diene, nur eben nicht so wie sie nach der Richtlinie vorgesehen ist.

Zur Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen Vorratsspeicherung der Daten ist festzustellen, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann jedoch, so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie 2006/24 vorsieht – für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen.

In den folgenden Punkten erkennt das Gericht ausdrücklich an, daß sich „die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken müssen“ und daß die Achtung vor dem Privatleben von herausragender Bedeutung ist. Daraus folgt aber für das Gericht nicht die grundsätzliche Ablehnung der VDS, sondern es fordert präzisere Regeln — auch im Hinblick auf die automatische Verarbeitung und den unbefugten Zugriff — für den Umgang mit den bei der VDS erhobenen Daten (Punkt 54 & 55).

Daher muss die fragliche Unionsregelung klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der fraglichen Maßnahme vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen, so dass die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung ermöglichen …

Weiterhin hält das Gericht fest (Punkt 56), daß es sich bei der VDS auf Grund des hohen Verbreitungsgrades elektronischer Kommunikation um einen Eingriff in die Grundrechte fast der gesamten europäischen Bevölkerung handelt. Wiewohl es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte handelt, bestreitet das Gericht jedoch (Punkt 39), daß die VDS nach der Richtlinie geeignet ist, den Wesensgehalt der Grundrechte zu verletzten, da die Inhalte der elektronischen Kommunikation nicht zur Kenntnis genommen werden. Diese Begründung ist meiner Meinung nach sachlich nicht haltbar, da sie zu sehr auf die Telefonie abzielt. Bei anderen Arten der elektronsichen Kommunikation geht aus den Vorratsdaten unmittelbar durchaus der Inhalt hervor, wenn auch nicht vollumfänglich. Darüberhinaus sieht das Gericht auch nicht den Wesensgehalt des Grundrechts auf den Schutz personenbezogener Daten angetastet, weil die Richtlinie eine Vorschrift zum Datenschutz und zur Datensicherheit enthält (Punkt 40). Außerdem hält es fest, daß jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit hat. An der Stelle fehlt nur noch das vom Ex-Innenminister Hans Peter Friedrich postulierte Supergrundrecht.

Für das Gericht steht die Sinnhaftigkeit der VDS nicht außer Frage, nur die Verhältnismäßigkeit, die es im Falle der Richtlinie für nicht gegeben hält, weil eine pauschale Speicherung erfolgt und keinerlei Differenzierung oder Ausnahmen festgelegt sind (Punkte 57-60).

Hierzu ist erstens festzustellen, dass sich die Richtlinie 2006/24 generell auf alle Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen.

Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.

Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.

Zweitens kommt zu diesem generellen Fehlen von Einschränkungen hinzu, dass die Richtlinie 2006/24 kein objektives Kriterium vorsieht, das es ermöglicht, den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung zwecks Verhütung, Feststellung oder strafrechtlicher Verfolgung auf Straftaten zu beschränken, die im Hinblick auf das Ausmaß und die Schwere des Eingriffs in die in Art. 7 und Art. 8 der Charta verankerten Grundrechte als hinreichend schwer angesehen werden können, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen. Die Richtlinie 2006/24 nimmt im Gegenteil in ihrem Art. 1 Abs. 1 lediglich allgemein auf die von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmten schweren Straftaten Bezug.

Im Weiteren bemängelt das Gericht das Fehlen

  • objektiver Kriterien für die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung
  • objektiver Kriterien, die die Zahl der Personen mit Zugriff auf die Daten auf das Notwendigste beschränkt
  • das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle des Datenzugriffs
  • objektiver Kriterien dafür, daß die Speicheriungsfrist von 6-24 Monaten auf das Notwendigste beschränkt ist
  • von wirksamen Regeln zum Schutz vor Missbrauch der gespeicherten Daten
  • von Maßnahmen den unberechtigten Zugang und unberechtigte Nutzung zu verhindern

Schließlich rügt das Gericht auch die Speicherung personenbezogener Daten außerhalb der EU. Soweit zu den wichtigsten Punkten aus dem heutigen Urteil des EuGH zur Richtlinie der Vorratsdatenspeicherung. Für die Befürworter der VDS bedeutet es nun zwar Arbeit, aber wohl kein unüberwindliches Hindernis, die vom Gericht beanstandeten Mängel abzustellen, außer das Gericht ließe sich von der Wirkungslosigkeit der VDS überzeugen. Es dürfte aber in jedem Falle damit zu rechnen sein, daß wir die VDS über kurz oder lang wieder auf dem Tisch haben werden, da die Befürworter auf ihr beharren. Ein wirklicher Grund zum feiern scheint mir das Urteil daher nicht zu sein.

5 Kommentare

  1. […] bereits von mir am Tag des EuGH-Urteils, in der er die Richtlinie 2006/24/EG zur Vorradatenspeicherung rückwirkend für nichtig erklärt, […]

  2. […] eher nach Resignation. Prognose: Sollten findige Juristen eine Lücke im Urteil des EuGH, der meiner Meinung nach zwar die Richtlinie gekippt hat, aber nicht grundsätzlich die VDS, finden wird sie umgehend zu der Erkenntnis gelangen, daß die VDS durchaus geeignet sei, denn sie […]

  3. […] EuGH kippt EU-Richtlinie zur VDS, nicht aber die VDS selbst. verbessern würde. Diese minimale Steigerung der Aufklärungsquote rechtfertigt nicht systematische, zeitlich unbefristet — jeder einzelene Kommunikationsvorgang löst eine Grundrechtsverletzung aus — stattfindende Grundrechtseingriffe aller Bürger dieses Landes. […]

  4. […] (VDS) des EuGH. Auch er hatte die Einführung einer VDS an hohe Hürden geknüpft, ohne sie grundsätzlich für unzulässig zu erklären. Deshalb kommt auch sie in regelmäßigen Abständen wieder […]

  5. […] ich schon nach dem Urteil des EuGH im April letzten Jahres vermutete taucht die Vorratsdatenspeicehrung (VDS) wieder auf, weil die Vorratsadatenspeicherungsbefürworter […]

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