Versteht die Bundesregierung „Netzneutralität“?

Neulich hatte ich bereits geschrieben, daß, wenn sich Angela Merkel festlegt, es bereits einen breiten Konsens, auch wenn der Nonsens ist, geben muss. Genau das hat sich nun herausgestellt, denn inzwichen ist bekannt geworden (heise), daß die Bundesregierung offenbar ein Konzept für die EU ausgearbeitet hat, in welchem das offene, netzneutrale Internet und die Forderung nach Spezialdiensten verknüpft werden soll. Damit haben sie die Quadratur des Kreises vollbracht. Leider haben sie aber nicht verstanden wie das Internet funktioniert.

Schon die vor zwei Tagen von Angela Merkel fast schon grenzdebile Aussage „Wir brauchen uns über Netzneutralität nicht zu unterhalten, wenn die Kapazitäten nicht zur Verfügung stehen“, zeugt von technischem Unverstand. Netzneutralität ist eine intrinsische Eigenschaft des Netzes und vollkommen unabhängig von der Banbreite, denn Netzneutralität bedeutet, daß jedes Datenpaket befördert oder verworfen wird, unabhängig von seinem Inhalt. Eine Transportbevorzugung in Abhängigkeit vom Inhalt des Datenpaketes ist bisher einfach nicht vorgesehen. Was wiederum auch die Ursache für gewisse Probleme ist (bspw. Echtzeitanwendungen). So wäre es durchaus sinnvoll Pakete mit Sprachinhalten bevorzugt weiterzuleiten, da bereits geringe Aussetzer hier die Unterhaltung massiv stören, wohingegen einzelne fehlende Pixel in einem Film weniger störend sind und bei e-Mails eine Verzögerung irrelevant ist. Anders ausgedrückt, die Abschaffung — von Einschränkung kann man hier nicht sprechen, denn entweder es gibt Netzneutralität oder es gibt sie nicht, so wie bei der Schwangerschaft, ein bißchen schwanger gibt’s nicht — muss erst umständlich hineinprogrammiert werden. Allein schon auf Grund der Tatsache, daß wir heute, nach mehr als zwanzig Jahren Internet, über Beibehaltung bzw. Abschaffung der Netzneutralität anfangen zu diskutieren beweist doch, daß es die Netzneutralität von Anfang an — bspw. via Modem über die Telefonleitung — gab! Merkel plappert ohne nachzudenken nach, was ihr eingeflüstert wurde.

Spezialdienste dürften nur „bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden“, heißt es demnach in einem Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums

Auch das ist technischer Unsinn, genau so wie der öfter gebrauchte Vergleich von der „Einrichtung von Überholspuren“ (FAZ, RP) im Internet. Bei einer Überholspur fahren alle weiter, nur ein paar scheren aus um schneller über die Straßen zu fahren. Genau das geht aber im Internet nicht, es gibt kein schneller fahren. Hier müssen andere anhalten oder dürfen gar nicht erst auf die Autobahn, damit einige freie Bahn vorfinden. Technisch gesehen würde dies bedeuten, daß wenn zwei unterschiedlich priorisierte Datenpakete um dieselbe Leitung konkurrieren, das Höherpriorisierte durchgestellt und das Niedrigpriorisierte entweder sofort verworfen oder kurzfristig auf dem Stapel zwischengespeichert wird. Ist dieser voll (bspw. weil permanent zwischendrin höherpriorsierte Pakete ankommen), wird es ebenfalls verworfen. Steht hingegen genügend Bandbreite zur Verfügung, muss eine eventuelle Priorisierung nicht beachtet werden, da sowieso alle ankommenden Pakete umgehend weitergereicht werden. Auf Grund der Funktionsweise paketvermittelter Dienste, wird damit klar, daß die Bevorzugung von Datenpaketen nur durch Benachteiligung anderer Pakete erkauft werden muss.

Dementsprechend kann es auch auch keine garantierte Bandbreite ohne Benachteiligung anderer geben. Beim herkömmlichen Telefonnetz gab es so etwas, denn dort ist die Bandbreitengarantie eine intrinsische Eigenschaft. Wenn eine Verbindung zwischen zwei Teilnehmern aufgebaut wurde, stand diesen Teilnehmern eine garantierte Bandbreite zur Verfügung, egal ob sie sich unterhielten oder schwiegen, die Leitung war reserviert. Bei paketvemittelten Diensten gibt es aber keine Leitungen je Verbindung die man reservieren könnte. Wollte ich hier jemandem z.B. 40 MBs⁻¹ bei einer 100 MBs⁻¹ Leitung vertraglich zusichern, wird eben für alle anderen der Durchsatz permanent auf 60 MBs⁻¹ begrenzt. Garantie durch Diskriminierung. Allenfalls könnte man für die avisierten Spezialdienste noch ein zweites Netz aufbauen, aber die Telekommunkationsunternehmen (Telkos) wollen ja noch nicht mal die Investitionen für den Breitbandausbau des bestehenden Netzes aufbringen. Sinn und Zweck dieser sogenannten Spezialdienste ist es einzig und allein schnellstmöglich Mautstellen bei Sender und Empfänger aufstellen zu können. Zweimal für ein und dieselbe Leistung kassieren ist die Große Mode in dieser Gesellschaft geworden.

Ich will hier gar nicht bestreiten, daß es Fälle gibt, in denen eine garantierte Bandbreite immer und unter allen Umständen zu Verfügung stehen muss, aber das ist derzeit kein Massenmarkt, bei dem das wirklich große Geld zu machen ist. Das ist nicht der Antrieb der Telkos, nur leider verstehen das die technischen Idioten in der Politik nicht. Im Hintergrund läuft eine Art Erpressung. Die Telkos behaupten einfach, das sie das Netz nur dann ausbauen können, wenn sie den Ausbau über die Spezialdienste refianzieren können.

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