Mobilfunk und Spermienqualität

Wieder mal zirkuliert (heise.de) eine Studie [1], in der man meint herausgefunden zu haben, daß Mobiltelefonnutzung die Spermienqualität negativ beeinflusst. Ein näherer Blick auf das, was da untersucht wurde lohnt, da in gewissen Kreisen mit hoher Resonanz dieser Studie gerechnet werden kann.

Studienaufbau

Study participants consisted of 106 male patients who underwent a first-time semen analysis as a part of infertility workup in the Fertility and IVF division of Carmel Medical Centre during 2011–2012.

Dieser eine Satz ist die ganze Aussage zur Gewinnung der Studienteilnehmer und warum in diesem Zuammenhang bereits von Patient gesprochen wird bleibt unklar. Zur Datenerfassung wurde einer unbekannten Anzahl von Männern ein Fragebogen zu ihrem demographischen Hintergrund (Alter, Ausbildung, Beruf, Ethnie¹, Kinderzahl, Wohnort), den Lebensgewohnheiten (Alkohol- und Rauchgewohnheiten) und ihrem Telefonieverhalten (Aufbewahrungsort beim Sprechen, Laden und Transportieren, Gerätezahl, Nutzungsdauer [30, 30-60, 60-120 und >120 min]) vorgelegt. Als Ausschlusskriterien galten bestimmte Erkrankungen, von denen sicher bekannt ist, dass sie die Fertilität negativ beeinflussen (Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Orchitis, Varikozele) sowie hoher Alkohol- und Zigarettenkonsum.

Nach Abschluss der Befragung wurde die Spermaqualität nach WHO-Kriterien bestimmt (Beweglichkeit, Konzentration, Morphologie, Volumen).

Von den befragten Männern machten 106 vollständige Angaben, davon blieben 26 auf Grund der genannten Auschlusskriterien in der Auswertung unberücksichtigt, so daß die statistische Analyse auf den Selbstauskünften und der Laboranalyse des Spermas von 80 Individuen beruht.

Ergebnisse

Auswertungen die nur auf Selbstauskünften zu einem Schätzwert (hier: Nutzungsdauer) zu einem noch dazu stark variablen, Verhalten basieren sind immer mit äußerster Vorsicht zu genießen. Auch wenn hier den Teilnehmern nicht unbedingt bewusstes Lügen unterstellt werden kann (anders als bei Studien zum Sexualverhalten), dürften die von den Teilnehmern angegebenen Nutzungsdauern stark von den realen Nutzungsdauern abweichen. Menschen im Allgemeinen sind nicht besonders präzise bei der Einschätzung des eigenen Verhaltens.

Aus der vorligenden Veröffentlichung wird nicht klar, welche Grundgesamtheit die 106 bzw. 80 verbliebenen Männer repräsentieren sollen, die männliche Bevölkerung vor Ort jedenfalls eher nicht. Kurz gesagt, da der gemeine Mann nicht mal eben so und rein zufällig im Krankenhaus bei der IVF-Abteilung vorbeischaut, ist die Auswahl der Studienteilnehmer schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stark fehlerbehaftet und kann daher wohl kaum verallgemeinert werden.

Gerade in den für die Hauptaussage der Studie relevanten Ergebnistabellen 2 und 3 finden sich nur noch 79 Studienteilnehmer. Warum der eine Teilnehmer verlustig ging ist nicht ersehbar.

Table 3 Lifestyle and cell phone usage in relation to sperm concentration.
Characteristic Categories Sperm concentration P-value
Abnormal Normal
n=34 n=45
n (%) n (%)
Smoking Never 13 (31.0) 29 (69.0) 0.021
Ever (current/past) 21 (56.8) 16 (43.2)
Total daily talking time 1h 14 (60.9) 9 (39.1) 0.040
≤1h 20 (35.7) 36 (64.3)
Talk while charging the device No 21 (35.6) 38 (64.4) 0.020
Yes 12 (66.7) 6 (33.3)
Distance from groin when not in use ≤50 cm 33 (47.1) 37 (52.9) NS
>50 cm 1 (11.1) 8 (88.9)
NS = not statistically significant.

Beim Lesen der Tabelle muss man aufpassen nicht in eine Falle zu tappen, denn die angegebenen Prozentwerte beziehen sich nicht auf die Gesamtpopulation, sondern sind zeilenorientiert! Jede Zeile hat einen eigenständigen 100%-Wert, jeder Teilnehmer taucht daher auch mehrmals auf. Konkret zu Zeile 3 („Total daily talking time“): Von den validen Fragebögen (ursprünglich 80, in der Tabelle tauchen aber nur 79 auf) haben anscheinend 23 (14+9 = 100% der Zeile) angegeben mehr als eine Stunde am Tag zu telefonieren (23/80 = 29% Vieltelefonierer), 14 davon wiesen eine abnormale Spermienkonzentration auf und nur neun eine normale.

Gemäß den vorliegenden Studienergebnissen weisen Raucher eine höhere Wahrscheinlichkeit abnormaler Spermienkonzentration auf als Nichtraucher. Der negative Effekt des Rauchens ist bekannt, aber da in der Tabelle Teilnehmer mehrfach vorkommen können erhebt sich die Frage, wieviele der Vieltelefonierer auch Raucher sind. Ich vermute mal Viele, wenn nicht gar alle, oder neutral formuliert, es ist nicht erkennbar, ob und wenn ja wie der bekannt negative Effekt des Rauchens rausgerechnet wurde, um die mögliche Wirkung der Händistrahlung zu ermitteln.

Analoges gilt für andere Parameterkombinationen, wie bsp. Alter und Vieltelefonierer etc.

Fazit

Zunächst einmal ist der rein statistische Schluss zur Spermienproduktion von 14 Männern mit abnormaler Spermienkonzentration aus den untersuchten 80 aus einer eng umrissenen Region und Besucher einer Fertilitätklinik auf die Grundgesamtheit aller händitelefonierenden Männer (> 2 Milliarden) mehr als nur gewagt.

Die gesamte Arbeit scheint mir ein typisches Beispiel für den häufig anzutreffenden Fehlschluss, von einer Korrelation auf eine Kausalität zu schließen. Ich halte zwar in diesem Falle selbst die Korrelation auf Grund der geringen Fallzahlen nicht unbedingt für gegeben, aber selbst wenn, bleiben noch viele andere Möglichkeiten, die unter den gegebenen Bedingungen einen wesentlich größeren Effekt auf die Spermienqualität haben dürften und zunächst eliminiert werden müssten:

  • Ernährung
  • Kleidung. Enge Hosen sind der Durchblutung nicht förderlich, auch erhöhen sie durch Wärmestau die mittlere Temperatur der Hoden, was der Spermienproduktion ebenfalls abträglich ist.
  • Arbeitsbedingungen (viel sitzend)
  • Körpergewicht (Übergewicht wirkt qualitätsmindernd)
  • Bewegung (sportliche Aktivitäten)

Den wesentlichsten Einflussfaktor erwähnen sie nicht einmal: Stress. Bei den Vieltelefonierern dürfte dies nicht alles nur zum Vergnügen sein. Vel wahrscheinlicher ist, daß die Telefonate dieser Gruppe eine Folge der beruflichen Belastung, vulgo Stress, darstellen. Von ihm ist aber schon lange bekannt, daß er seinen negativen Einfluss nicht nur auf Herz und Blutdruck ausübt, sondern auch auf die Spermienproduktion. Insofern zeigt die Studie (und andere änliche auch), sofern die Werte überhaupt als realistisch angenommen werden dürfen, eher einen Zusammenhang zwischen Stress und Spermaqualität, als einen Einfluss der Händistrahlung. Einen Hinweis geben die Studienautoren selbst, interpretieren ihn aber als Auswirkung des Ladestroms:

The participants in this study, who reported talking on their phones while the device was being charged, were more likely to have abnormal semen concentration.

Bei Männern, die selbst das Telefon beim Laden nicht aus der Hand legen (können), liegt die Vermutung auf Vorhandensein von Stress mehr als nur nahe. Da dessen negativer Einfluss bereits bekannt ist, muss eine Studie zum möglichen Einfluss von Händistrahlung diesen unbedingt ausschließen. Genau hieran dürfte aber ein Studiendesgin schnell scheitern. Wie findet man ungestresste Vieltelefonierer und dann auch noch welche die bauartbedingt auf die Produktion von Spermien ausgerichtet sind?

Bei dieser Publikation scheint mir der PeerReview nicht wirklich funktioniert zu haben, sonst hätten die Knackpunkte mindestens in der Dikussion angesprochen werden müssen.

This wide spectrum of usage aspects is, in our opinion, one of the unique merits of the work.

Die Autoren sind mehr oder weniger stolz darauf, 13 Aspekte zur Händinutzung in ihrer Studie berücksichtigt zu haben, doch leider nützt dies nichts, da keiner der Parameter unabhängig von den anderen untersucht wurde und sich deren (mögliche) Einflüsse in unbekanntenm Ausmaß überlagern. Damit wird die Gesamtaussage wertlos.

Anmerkung

Ich wusste noch gar nicht, daß wissenschaftliche Zeitschriften den sozialen Netzwerken mit ihren Profilbildern nacheifern und anfangen ein Foto des (Erst-)Autors inkl. Kurzlebenslauf in den Artikel einbinden. Das halte ich persönlich für keine gute Idee. Dadurch besteht nur noch mehr die Gefahr, das Ergebnisse nicht mehr für sich selbst stehen, sondern nicht nur mit dem Namen, sondern auch noch dem Gesicht verknüpft werden.

Literatur

  1. Habits of cell phone usage and sperm quality – does it warrant attention? Ariel Zilberlicht, Zofnat Wiener-Megnazi, Yulia Sheinfeld, Bronislava Grach, Shirly Lahav-Baratz, Martha Dirnfeld. Repro. Biomed. Online 2015 31: 421–426, DOI: 10.1016/j.rbmo.2015.06.006, PubMed #26206279

1 Der Artikel spricht mal von kulturellem Hintergrund und meint dabei die Religionszugehörigkeit (Christ, Druse, Jude, Moslem) und mal von Ethnie und meint dabei ebenfalls die Religionszugehörigkeit. Auch unter Berücksichtigung des Studienortes Haifa/Israel ist dies sachlich einfach falsch. Religionsgemeischaften sind keine Ethnien.

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