Terrorexperte

Wieder mal so ein Interview mit einem Terrorexperten, mit schönen Theorien, aber dafür mit getrübtem Blick auf die Realität. Ich bezweifele, daß man mit westlicher Logik und Taktik den Islamismus, der sich ja gerade durch religiösen Irrationalismus auszeichnet, verstehen kann, viel eher muss man versuchen zu denken wie sie. Aber Hr. Kepel ist ja auch Soziologe und Politwissenschaftler.

Die Welt: Die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich steht vor der Tür. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr eines Attentats ein?

Gilles Kepel: Die Gefahr wird von den Sicherheitskräften sehr ernst genommen – umso mehr, als die Attentate vom letzten November mit einem Angriff gegen das Stade de France anfingen. Allerdings sollte man bedenken, dass ein Attentat gegen ein Stadion den islamistischen Terrorismus mit seinem Grunddilemma konfrontiert: Viele der Zuschauer sind Muslime, ganz besonders in der Vorstadt von Paris.

Die Welt: Ist das ein Problem für den Islamischen Staat?

Kepel: Ich führe regelmäßig Interviews mit muslimischen Strafgefangenen, die das Profil von jungen Männern haben, welche die Dschihadisten für sich gewinnen wollen. Nach dem Anschlag auf das Stade de France sagten die meisten, diese Terroristen spinnen: Mein Bruder, mein Cousin, meine Freunde waren vor Ort. Ein gelungenes Attentat gegen ein Stadion wäre zwar eine eindrückliche Machtdemonstration, aber es würde die Sympathisanten, die der IS an sich binden will, weiter von ihm entfremden. Aus diesem Grund glaube ich, dass die Novemberattentate ein strategischer Fehler waren – und dass der IS diesen eher nicht wiederholen wird.

Also diese Argumentation ist doch schon seit Jahren durch die Realität widerlegt. In der Levante, Afghanistan, Pakistan und an anderen Orten, selbst Mekka zu Zeiten der Hadsch war schon Ziel von Anschlägen, töten die Islamisten seit Jahren bevorzugt Moslems, oftmals sogar Angehörige ihrer eigenen ethnischen Gruppe. Wie er selbst weiter unten in dem Interview bemerkt, wird größtenteils ein innerislamischer Kampf blutig ausgetragen. Es geht den Islamisten nicht hauptsächlich darum andere Moslems oder gar Nichtmoslems für sich zu gewinnen, sondern ihre als heilsbringend und als einzig richtig angesehene Ideologie durchzusetzen. Die Anders- und Ungläubigen sind natürlich der Feind, aber eben auch Moslems, die nicht ihren Vorstellungen gemäß leben. Da sich die Islamisten für die einzigen Rechtgläubigen halten, sind alle anderen Moslems vom Weg abgekommen, quasi schon fast Apostaten. Ihrer Auffassung nach haben Moslems in einem Konzert, einem Fussballstadion — und dann auch noch Männer und Frauen gemischt — reinweg nichts zu suchen. Das kommt offen gelebter Gotteslästerung gleich. Daher ist die Schlussfolgerung, daß es für den IS kontraproduktiv wäre, die EM anzugreifen, da sie viele Moslems treffen würde, falsch. Weiterhin ist auch unbekannt, was in den Köpfen der kleinen Terrorzellen vorgeht. Somit ist jede Spekulation, ob es Anschläge geben wird oder nicht, hinfällig, man wird es erfahren.

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