In Abständen weniger Tage werden immer neue Zahlen zu Selektoren die vom BND benutzt, freigeschaltet oder geblockt, von der NSA angefordert wurden, von der Presse veröffentlicht. Genannt wurden diverse Zahlen, mal 40.000, 12.000, 13.000 oder auch 2.000, ohne daß man konkret erführe ob es sich dabei jedesmal um Neue oder um Teilmengen handelt. Gerade vorgestern hieß es wieder „Geheimdienstaffäre: BND schaltete 25.000 NSA-Selektoren scharf“. Leider fehlt eine belastbare Defintion was genau der Begriff „Selektor“ im geheimdienstlichen Bereich eigentlich beschreibt. Die Aussage, daß es sich dabei um Begriffe, e-Mailadressen, IP-Adressen, Telefonnummer etc. handelt, ist zu trivial. Die Zahlenangaben haben durchaus das Potential das Problem zu bagatellisieren, wenn man die in der IT eingesetzten Notationen für Beschreibungen und Suchverfahren berücksichtigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann jeder Selektor auch Platzhalter, Joker, Wildcards oder reguläre Ausdrücke (RegEx) enthalten, mit der Folge, daß die Anzahl der Betroffenen um Zehnerpotenzen über denen der eingesetzten Selektoren liegen kann.
So könnte ein Selektor eine IP-Adresse eines Endgerätes sein, bspw. eine IP4-Adresse der Form 192.168.1.150
oder er könnte aber auch die Form 192.168.0.0/16
haben. Das sieht harmlos aus, umfasst aber alle IP-Adressen von 192.168.0.0 – 192.168.255.255, mithin also 65.536 einzelne IP4-Adressen. Nur zum Verständnis noch ein Extrembesipiel. Der scheinbar simple Selektor 0/32 würde alle überhaupt möglichen 4.294.967.296 IP4-Adressen aussortieren. Ähnlich sieht es bei Anwendung von regulären Ausdrücken auf Texte aus. So würde ein .*@Beispiel.de
alle e-Mailadressen unter der Domäne Beispiel.de ausfiltern. Die Ausdrücke können weitaus komplizierter sein, um auch nach Feinheiten filtern zu können. Durch entsprechende Selektorenkombinationen ließe sich die Anzahl der Betroffenen zwar auch wieder drastisch reduzieren, aber einerseits wurde durch den Filtervorgang die Rechtsverletzung bereits vollendet, andererseits haben die Veröffentlichungen der letzten Jahre gezeigt, daß erst einmal alles halbwegs Brauchbare ausgefiltert und an die NSA weitergegeben wird. Die Feinarbeit geschieht dann später in den USA.
Die Anzahl der Selektoren sagt daher nicht das Geringste über die Anzahl der Betroffenen aus, diese lässt sich nur mit Kenntnis der Selektoren abschätzen. Daher wird man für eine Aufklärung der Geschehnisse nicht umhin kommen, diese zumindest dem Untersuchungsauschuss zugänglich machen zu müssen. Weiterhin wird die Anzahl der Betroffenen auch ggf. von der Staatsanwaltschaft für Ermittlungen und/oder Anklageerhebung benötigt. Insofern werden das Kanzleramt und die Dienste alles unternehmen um die Liste(n) niemandem bekannt werden zu lassen, da man sich ansonsten selber belasten würde und außerdem ein Bekanntwerden der Liste zu einer Klagewelle gegen die Bundesrepublik Deutschland führen würde.
In der ganzen Situation sieht nun Sigmar Gabriel als Vizekanzler die Zeit gekommen Angela Merkel vom Thron zu stoßen. Er hegt also eigene Interessen, die Aufklärung der BND-Affäre ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Die Vorstellung Gabriel und Konsorten als Kanzler zu haben löst — überaus freundlich formuliert — auch nicht gerade Begeisterung bei mir aus. Dass sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Telefonat mit Gabriel (interessant wer immer alles vom Inhalt eines Tefonats weiß, wenn zwei miteinander gesprochen haben) gegen jegliche Zugänglichmachung der Selektorenliste ausspricht, ist auch einigermaßen logisch, da er zu seiner Zeit als Kanzleramtsminister unter dem Kanzlergroßmaul Schröder, der den USA „uneingeschränkte Solidarität“ versprochen hatte, für einen erheblichen Teil der heutigen Misere verantwortlich zeichnen dürfte. Ihm geht es mitnichten um die Befindlichkeiten der USA, sondern um Selbstschutz. Er verlässt sich darauf, daß die USA natürlich der Freigabe der Liste nicht zustimmen werden (falls es überhaupt eine Anfrage durch die Bundesregierung gegeben haben sollte).
Am zielführendensten wäre es daher, wenn sich jemand erbarmen würde und wenigstens die Selektorenliste aus dem Kanzleramt der Öffentlichkeit zuspielt. Immerhin hat auch irgend jemand mit Zugang zum Schriftverkehr des inneren Kreises den e-Mailverkehr zwischen den USA und dem Kanzleramt zum angeblichen No-Spy-Abkommen an die Presse durchgestochen.