TK-Überwachung: Viel Geheule um einen nichtssagenden Bericht

Die Bild-Zeitung entdeckt einen öffentlich zugänglichen achtseitigen Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), bastelt eine Schlagzeile mit einer großen Zahl daraus und fast alle anderen Blätter springen auf den Zug auf und vermelden Identisches. Beim Lesen diverser Meldungen fragt man sich unweigerlich, ob die überhaupt in den Bericht gesehen haben, zumindest haben sie es nicht für nötig gehalten ihn zu verlinken.

Auch weite Teile der sonst ach so kritischen Bloggerwelt, „alternativen Presse“ und Bildhasser entdecken auf einmal ihr Herz für Bild und plappern nach. Der Pawlowsche Reflex funktioniert jedenfalls ausgezeichnet. Übersehen wird bei alledem auch, daß es nicht nur um den besonders in letzter Zeit immer weiter gefassten Begriff des Terrorismus geht, sondern auch um illegalen Waffen- und Menschenhandel, dessen Unterbindung wohl durchaus auch im Interesse der Meisten liegen dürfte.

Keines der Blätter hat meines Erachtens die richtigen Fragen gestellt, sondern nur die 37 Mio. in den Vordergrund gestellt. Doch zunächst die Zahlen aus dem Bericht (S. 6 & 7) in tabellarischer Form:

2010 2009
Internationaler Terrorismus
1 Suchbegriffe 3.752
2 TK-Verkehr gesamt 10.213.329 1.807.580
3 davon e-Mailerfassung 10.208.525 k. A.
4 nachrichtendienstlich relevant ges. 29
7 Metadaten
17 Webforen
5 Sprache
69
Proliferation und konventionelle Rüstung
5 Suchbegriffe 26.147
6 TK-Verkehr gesamt 27.079.533 5.034.145
7 davon e-Mailerfassung k. A. k. A.
8 nachrichtendienstlich relevant ges. 180
12 e-Mail
94 Faxe
74 Sprache
209
Illegale Schleusung
9 Suchbegriffe 634 k. A.
10 TK-Verkehr gesamt 45.655 k. A.
11 davon e-Mailerfassung 45.599 k. A.
12 nachrichtendienstlich relevant 4 Sprache k. A.

Zunächst einmal ist die Angabe der Bildzeitung von 37.292.862 e-Mails schlicht und ergreifend falsch:

  • Es wurden nur die Zeilen 2 und 6 addiert, Zeile 10 wurde vergessen.
  • Es handelt sich dabei um TK-Verkehre, nicht nur um e-Mails.

Bild rechnet nicht nur falsch, sie wollen mit der Angabe bis auf eine e-Mail genau auch noch eine nicht vorhandene Präzision vorgaukeln, denn die genaue Anzahl der e-Mailerfaassung geht aus dem Bericht gar nicht hervor, da die Angabe zur Proliferation unvollständig ist. Es könnten hier theoretisch auch 27 Mio. Telefonate und Faxe überwacht worden sein. Nur der Hinweis auf den hohen Spamanteil im Bericht verleitet zu der Vermutung, einer hohen Anzahl überwachter e-Mails, aber so steht es nicht im Bericht. Ist die Angabe also nur vergessen worden oder sollte eine hohe Zahl an Telefonüberwachungen verschleiert werden? Immerhin wird der Bericht von den Innenministern vor der Veröffentlichung redigiert!

Im Grunde handelt es sich um einen dieser nicht untypischen, nichtssagenden Arbeitsberichte. Mit den großen Zahlen wird der Eindruck erweckt, daß irgendetwas getan wurde. Auch dienen sie oft als Begründung für die Forderung nach mehr Geld. Die wirklich relevanten Fragen beantwortet der Bericht eben gerade nicht. Für das Jahr 2010 wurden 213 aus insgesamt 37.338.517 Ereignissen als nachrichtendienstlich relevant angesehen (0,0005%). Was bedeutete es letztlich für die hinter den erfassten Vorgängen stehenden Menschen, wenn ein Ereigniss als nachrichtendienstlich relevant eingestuft wurde? Um wieviele Personen handelte es sich dabei? Welche weitergehenden Maßnahmen wurden ergriffen? Wieviele „Verfahren“ wurden eingestellt?

Welche allgemeine Aussage lassen die 213 relevanten Ereignisse zu? Suchen die Dienste nach den falschen Begriffen (=Dienste arbeiten ineffektiv) oder existiert das Problem nach dem gesucht wird nicht in dem Umfang, wie es die Politik verlauten läßt? Anders ausgedrückt, ob 213 relevante Ereignisse als viel oder wenig einzustufen sind, wird durch den Bericht nicht beantwortet und bleibt für Spekulationen offen. Jeder kann in die Zahl hineinlesen was er für seine Ideologie benötigt.

Selbst unter der Annahme, daß tatsächlich über 37 Mio. e-Mails (aus)gefiltert wurden, relativiert sich die scheinbar enorme Menge sehr schnell, wenn man sich mit der Technik etwas auskennt. Das internationale e-Mail aufkommen ist enorm, realistische Schätzungen kommen auf zweistellige Milliardenbeträge pro Tag! Es gibt private Mailrelays in Deutschland, die knacken zweistellige Millionenwerte beim jährlichen Durchsatz und der größte Teil des Mailaufkommens ist tatsächlich Spam. Auch wenn nicht der gesamte Verkehr durch Deutschland fließt, muß man große Mengen e-Mails filtern um überhaupt auf personale e-Mails zu stoßen. Unter diesem Aspekt sind 37 Mio. als eher wenig einzuschätzen.

Selbstverständlich kann man der Meinung sein, daß Geheimdienste per se abzulehnen sind, aber dann spielt es keine Rolle ob eine oder Millionen e-Mails ins Visier geraten sind und man sollte dies auch so sagen. Aber einfach eine (scheinbar) große Zahl in den Raum zu werfen und auf Empörung zu setzen, ist nichts weiter als manipulative Stimmungsmache.

Das ist nicht nur rechtsstaatlich fragwürdig, sondern stellt die Effektivität der Arbeit der Nachrichtendienste infrage.

Diese Aussage von Gisela Piltz (FDP, MdB) ist entweder wenig durchdacht oder sie hat weitergehende Informationen oder sie verfolgt mit ihrer Forderung andere Ziele. Um die Qualität der geheimdienstlichen Messverfahren überhaupt beurteilen zu können reichen die Angaben zur Anzahl gescannten Mails und der relevanten Ereignisse nicht aus. Dazu benötigt man Angaben zu Fehlalarmen (falsch Positive), entgangenen Alarmen (falsch Negative), echten Alarmen (wahr Positive) und harmlosen e-Mails (wahr Negative). Erst dann ließen sich überhaupt Aussagen zu Sensitivität und Spezifität (Trefferquote), also der Qualität der geheimdienstlichen Tätigkeit, und weitergehende Analysen machen. Da der Bericht diese Daten nicht hergibt, ist alles Gerede über die Effektivität der Dienste nur heiße Luft. Das Entscheidende was uns beunruhigen sollte ist das, was der Bericht nicht sagt. Anders ausgedrückt, sofern das PKG seine Kontrollfunktion nur anhand dieses Berichtes erfüllen soll, kann es seiner Aufgabe nicht nachkommen und das wäre dann der eigentliche Skandal!

Auch Renate Künast (Die Grünen) konnte natürlich nicht anders als mit einer der üblichen leeren Phrasen ihren Senf dazuzugeben:

Die Sicherheitsbehörden müssen grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit wahren.

Das Behörden aller Art zu der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, ist eine Binsenweisheit. Es hätte von ihr der konkreten Aussage bedurft, warum sie die Verhältnismäßigkeit überschritten sieht und bis zu welcher Anzahl von e-Mails die Verhältnismäßigkeit ihrer Meinung nach gewährleistet wäre und warum. War die Verhältnismäßigkeit nur dadurch nicht gewährleistet, weil die Suchbegriffe (angeblich) zu breit gefasst waren? Dies hätte einen Einfluss auf die Anzahl der Treffer gehabt, nicht aber auf die Anzahl der gescannten Mails. Wie üblich scheint auch in diesem Falle ein eklatanter Mangel an Verständnis und Kenntnis der Materie vorzuliegen. Hauptsache man meldet sich mit einer im Sinne der Parteiideologie politisch korrekten Aussage zu Wort; schön das wir mal darüber gesprochen haben.

Damit ich nicht falsch verstanden werde, ich bin generell kein Freund von Geheimdiensten, weil es sich meiner Meinung nach bei Geheimdiensten und demokratischer Republik um zwei in der Sache wesensfremde Antagonismen handelt. Bisher hat die Geschichte gezeigt, daß Geheimdienste immer eine sehr eigene Auffassung von Recht und Gesetz entwickelt und über kurz oder lang eine eigene Agenda verfolgt haben. Allerdings bin ich auch gegen ein blindwütiges drauflosschlagen mit falschen Argumenten. Generell sollten Entscheidungen anhand von Fakten und nicht auf ideologischer Basis zu getroffen werden. Auch stelle ich nicht in Frage, daß bei den Diensten generell etwas im Argen ist, aber das war nicht das Thema hier. Aber das eigentliche Ziel der Kritik muß die Regierung sein. Momentan herrscht auf parlamentarischer Seite die Idee der totalen Überwachung vor. Sie ist es, die es zu bekämpfen gilt, denn die Regierung ist es, die die G10-Gesetzgebung, welche die Grundlage für die Befugnisse der Geheimdienste darstellt, anlasslos den Telekommunikationsverkehr (stichprobenartig) zu überwachen, aktiv fördert. Es muß daher ernsthaft die Frage aufgeworfen werden, ob Geheimdienste in eine demokratische Republik passen. Solange aber bei Wahlen kein Widerstand gegen CDU/CSU, FDP und SPD kommt, wird sich daran nichts ändern.

Unabhängig davon, sollte sich jeder auch mal selbst die Frage stellen, warum er sich überhaupt überwachen läßt. Seit Jahr und Tag predigt eine relativ kleine Gruppe, daß e-Mails wie Postkarten sind („Schreibe nichts in eine e-Mail, was Du nicht morgen in der Bild-Zeitung lesen möchtest!“) und von jedem der an die Leitung kommt, unbemerkt und lesbar ausgeleitet werden können. Eine verschwindend geringe Minderheit benutzt Verschlüsselungssoftware wie PGP, und meinem persönlichen, rein subjektiven Eindruck nach sind es in den letzten Jahren sogar — relativ zur Anzahl der Internetnutzer — weniger geworden. Nicht einmal die Tatsache, daß Google mit Hilfe von Googlemail Werbeeinblendungen anhand des Inhalts der e-Mails auswählt, prinzipiell also nichts anderes mit allen e-Mails macht, als die Geheimdienste mit einem Bruchteil, konnte die Nutzer breitflächig dazu veranlassen, kryptografische Systeme einzusetzen. Von der (Un-)Sitte alles und jedes auf Facebook und Konsorten in die Welt hinauszuposaunen ganz zu schweigen. Es gehört eine große Portion Ignoranz dazu, sich jetzt über einen nichtssagenden Bericht zu empören.

Ein Kommentar

  1. […] gegen eine Durchleuchtung von E-Mails aus dem Jahre 2010, da aus dem Jahresbericht (vgl. hier) des parlamentarischen Kontrollgremiums hervorging, daß der BND 37 Mio. e-Mails abgefangen, aber […]

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