Studie: Zuwanderung macht die Deutschen glücklicher

Zuwanderung macht die Deutschen glücklicher ist der Titel eines kürzlich erschienenen Artikels bei der FAZ. Sie bezieht sich hierbei auf eine Studie des IZA (Institut für Zukunft der Arbeit/Institute for the Study of Labor).

Mit verblüffend klarem Ergebnis: Typischerweise waren die Einwohner einer Region umso zufriedener, je mehr Zuwanderer in der Region lebten.
[…]
Der Studie zufolge wird die Zufriedenheit der Deutschen umso größer, je besser die Einwanderer integriert sind – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Doch nicht nur die Deutschen macht Einwanderung glücklich. Auch die Zuwanderer sind umso zufriedener, je mehr andere Zuwanderer in ihrer Nähe wohnen.

Eine Formulierung wie im ersten Satz als Ergebnis einer Studie läßt immer den Verdacht aufkeimen, daß einer der Kardinalfehler der Statistik gemacht wurde, in dem Korrelation als Kausalität interpretiert wird, in diesem Falle also die Schlussfolgerung, weil es Einwanderer gibt, seien die Deutschen glücklicher. Das kann zutreffen, lässt sich aber aus einer Korrelation nicht ohne Weiteres folgern. Die frei verfügbare, 47 Seiten lange Studie kommt in ihrer Ergebniszusammenfassung zu derselben Schlussfolgerung, zumindest hat die FAZ richtig abgeschrieben:

Our major finding is that an increase of immigration in the region positively affects the well-being of natives. In other words, German-born individuals obtain welfare gains as immigration in their region of residence increases.
[…]
One of the novel and important findings in this paper indicates that the impact of immigration is also a function of the degree of economic and cultural assimilation of immigrants in the region. According to our results, immigration increases wellbeing up to a certain level of an „assimilation threshold“, beyond which its effect becomes essentially zero.

Zunächst wird in der Studie auch korrekterweise mehrfach von Korrelation, nicht von Kausalität gesprochen und man gibt den Grad der Korrelation in Standardabweichungen an:

The parameter estimate suggests that a higher immigration rate in the ROR is positively and significantly correlated with the SWB level of both natives and immigrants.
[…]
These estimates imply that, ceteris paribus, an increase in one standard deviation in the ROR immigration rate is associated with an increase of 0.1 standard deviations in natives‘ SWB and of 0.4 standard deviations in the SWB of immigrants.

Um dieser Korrelation eine gewisse Beweiskraft erlangen zu lassen werden zwar auch andere Einflussfaktoren untersucht, doch die grundlegende Frage ist, ob das zugrunde liegende Datenmaterial geeignet ist, überhaupt eine Korrelation herzugeben, denn berechnen kann man Vieles, ob es aber sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Die Autoren der Studie haben keine eigenen Erhebungen durchgeführt, sondern kombinieren und werten das offizielle Datenmaterial von GSOEP (German Socio-Economic Panel) und INKAR (Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung) aus. Letztlich flossen rund 160.000 Datensätze aus den Befragungen in ihre Berechnungen ein.
Im ersten Schritt betrachten (Abb. 1) sie die Angaben für das subjektive Wohlbefinden (SWB = subjective well-being measures, happiness, life satisfaction) getrennt nach autochthoner Bevölkerung und Einwanderern in Abhängigkeit von der Immigratenrate in der jeweiligen Raumordnungsregion (ROR).

Abb. 1: Abb. 2 aus der Studie – Subjektives Wohlbefinden über Immigrationsrate

Subjektives Wohlbefinden über Immigrationsrate


Für die Autoren korreliert das subjektive Wohlbefinden der nativen Bevölkerung linear mit der Zuwanderungsrate (Abb. 1, links). Selbst wenn man dieser Interpretation folgt, ist zu beachten, daß die Steigung der Regressionsgeraden nur knapp von waagerecht abweicht, die Zunahme des Wohlbefindens also nur schwach ausgeprägt ist. Ich persönlich würde hier keine Regressionsgerade für richtig befürworten sondern eine einem Grenzwert zustrebende Funktion. Bei der Grafik zum Wohlbefinden der Immigranten (Abb. 1, rechts) kann man jedoch auch mit Wohlwollen nicht mehr von einem linearen Zusammenhang sprechen. Dies verbietet sich auf Grund der Streuung, mindestens eine Funktion hyperbolischer Natur würde hier die Messwerte angemessener interpretieren, sofern der Meßpunktfehler klein genug wäre. Die Autoren bemerken hierzu nur, daß die Streuung des subjektiven Wohlbefindens (eigentlich müßte es genauer heißen die Angaben zum subjektiven Wohlbefinden) bei den Immigranten höher ist, insbesondere wenn die Immigrantenrate gering ist. Die einzelnen Meßwerte für die ROR werden durch ungewöhnlich große Kreise dargestellt. Zunächst könnte man dies für eine Visualisierung der Standardabweichungen halten, was aber nicht der Fall sein kann (alle sind gleich groß), wenn man sich die Daten in der Studie weiter ansieht. Auch fehlt mir jegliche Angabe über das jeweilige Gewicht jeder ROR, oder entfallen auf jeden ROR die gleiche Anzahl an Datensätzen (wohl kaum)? Wenigstens eine Verteilung von n über die 96 ROR hätte präsentiert werden müssen. Man erfährt nur (Tab. 1 der Studie), daß 139.040 Native (72.359 aus Regionen mit hoher + 66.681 aus Regionen mit niedriger Einwanderungsrate) und 22.540 (6.156 + 16.384) Immigrantendatensätze in die Studie eingeflossen sind.

In der Tabelle 1 der Studie (Abb. 2) schlüsseln die Autoren die Angaben zum subjektiven Wohlbefinden nach den individuellen Charakteristika der Befragten (Geschlecht, Haushaltsgröße, Alter etc.) auf und geben auch die dazugehörigen Standardabweichungen an.

Abb. 2: Ausriss aus Tab. 1 der Studie – Individuelle Charakteristika

Tabellenausschnitt Individuelle Charakterisktika


Setzt man die jeweiligen Werte in Beziehung zur ihrer Standardabweichung, erscheint die Studie mehr oder weniger sinnlos, denn mit einem Zahlenmaterial, noch dazu erhoben auf Grund von Einschätzungen von Individuen und nicht mittels eichbarer Messungen, welches derartigen Schwankungen unterliegt läßt sich wohl kaum eine wissenschaftlich belastbare Aussage treffen, denn mit jedem der folgenden Rechenschritte wird der Fehler größer. Auch fehlt im weiteren Verlauf der Studie meines Erachtens eine schlüssige Herleitung diverser Koeffizienten, die für die Berechnung des SWB notwendig sind.

Nicht unberücksichtigt kann bleiben, daß hier Mitarbeiter des IZA auf der institutseigenen Plattform eine Veröffentlichung vorgenommen haben. In dem Artikel git es keinen Hinweis, das eine Veröffentlichung in einem unabhängigen Journal mit Peer-Review auch nur geplant ist. Beim Lesen der 47 Seiten konnte ich mich des Eindruckes nicht erwehren, daß die Studie mehr versucht etwas zu beweisen, als zu untersuchen, nämlich daß Deutschland Einwanderung braucht. Genau dies fordert das private Institut auch schon seit Längerem, so z. B. in seiner Veröffentlichung „Agenda Zuwanderung: Zehn-Punkte-Aktionsplan des IZA für gesteuerte Arbeitsmigration und bessere Integration“ (PDF). Selbstverständlich liegt es im Bereich des Möglichen, dass die Einwanderung das subjektive Wohlbefinden der Deutschen positiv beeinflusst, nur aus dem Zahlenmaterial der Studie lässt sich das so nicht herleiten, auch wenn die Autoren das so gerne hätten. Die einzig relevante Aussage die sich treffen lässt ist, daß das subjektive Wohlbefinden bei der autochthonen Bevölkerung in Gebieten mit höherer Immigrationsrate tendenziell etwas höher ist als mit niedriger, aber selbst dies geht im Messfehler nahezu unter. Es lässt sich aber definitiv nicht sagen, daß das etwas höhere subjektive Wohlbefinden aus der Anwesenheit von Immigranten herrührt.

Inosfern kann man den am Anfang der Studie gegebenen Hinweis auf die Vorläufigkeit der Ergebnisse wörtlich nehmen:

IZA Discussion Papers often represent preliminary work and are circulated to encourage discussion.
Citation of such a paper should account for its provisional character. A revised version may be
available directly from the author.

An die Autoren: Methoden- und Ergebnisteil bitte komplett überarbeiten und dann noch einmal zur Begutachtung vorlegen!

  • The Impact of Immigration on the Well-Being of Natives. Alpaslan Akay, Amelie F. Constant, Corrado Giulietti. IZA DP No. 6630, June 2012 (PDF)

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