Gefährliche homöopathische Fallbeschreibungen

Seit diesem Jahr gibt es ein neues, in der Aufmachung wissenschaftlichen Journalen nachempfundenes Open-Access Journal zur Homöopathie, das Journal of Case Studies in Homeopathy. Wie der Titel bereits vermuten läßt, sollen hier überwiegend Einzelfallbeschreibungen veröffentlicht werden. Zu erwarten wären daher prallgefüllte Ausgaben, handelt es sich bei der Homöopathie doch um einen ausgeprägten Anekdotenschamanismus. Aber die ersten beiden Ausgaben lassen ihrem Umfang nach nicht gerade vermuten, daß die Welt auf dieses Journal gewartet hätte, aber dafür läßt der Inhalt schon jetzt Schlimmes befürchten. Gleich der erste Satz des Editorials von Saurav Arora zur ersten Ausgabe läßt die Stirn Falten schlagen [1]:

A well-presented homeopathic case provides important and detailed information about an individual, which often tends to lose in larger trials, as they are primarily objective based rather subjective.

Genau aus dem Grund individuelle, zufallsbedingte Unterschiede herauszumitteln werden kontrollierte Studien unternommen. Dennoch können Fallbeschreibungen von Bedeutung sein, wenn die gesicherten diagnostischen Verfahren zu keinem oder zu einem irreführendem Ergebnis führen. Aber offensichtlich stört den Autor die Ausrichtung der Studien auf Objektivität und wünscht sich für dieses Journal subjektive Einzelfallbeschreibungen. Letztere sind aber aus wissenschaftlicher Sicht praktsich wertlos, aber Homöopathie ist ja auch keine Wissenschaft. Beim ersten Lesen des Satzes hat mich die Aussage an den Genderismus erinnert, der ebenfalls nicht nur eine ausgeprägte Abneigung gegen objektive Tatsachendarstellung aufweist, sondern sie sogar komplett negiert.

Richtig dick kommt es aber in den ersten Fallbeschreibungen. Ein Artikel von André Saine mit seiner eigenen hochaktuellen Fallbeschreibung von einem Septembertag um 9 Uhr morgens im Jahre 1989 mit dem Titel „My First Case With a 200 D“ [2] liefert einen erschütternden Einblick in die Arbeit und Denkweise von Homöopathen.

Mit 200 D ist die verwendete Verdünnungsstufe — in Homöopathensprache Potenz genannt — der Urtinktur gemeint. Die Bezeichnung besagt, daß die Urtinktur 1:10200 verdünnt worden ist. Wieviel ist jetzt 1:10200 aber nun genau? Es ist schwierig ein passenden Vergleich zu finden, ich greife hier mal auf meinen Lieblingsvergleich mit dem Universum zurück. Nehmen wir an, ein Wirkstoffmolekül der Urtinktur wäre ein Elementarteilchen. Unser Universum enthält schätzungsweise 1087 Elementarteilchen, das bedeutet, es würden 10200-87 ≈ 10113 komplette Universen benötigt, um überhaupt nur ein einziges Wirkstoffteilchen vorzufinden. Genaugenommen dürfte man gar nicht mehr von Verdünnung sprechen, da de facto nach den ersten paar Schritten nichts mehr enthalten ist, was verdünnt werden könnte und nur noch Lösemittel mit Lösemittel vermengt wird. Aber unsere Sprache gibt für diesen Unfug keinen passenderen Begriff als Verdünnung her.

Nach diesem Abstecher in die Weiten des homöpathischen Universums zurück zu den irdischen Fallbeschreibungen. In dem ersten beschriebenen Fall wird er vom Hausarzt einer 72-Jährigen die unter akuten Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Übelkeit etc. leidet gerufen. Er behandelte die Patientin mit fünf Globuli Digitalis D 200 und erklärte dem Hausarzt hinterher, daß die Globuli nicht durch eine Wirkung auf das Herz zur Normalisierung geführt hätten, sondern die Reaktion des Patienten auf das Medikament die normale Herzaktivität wiederherstellte.

I explained to him that the remedy administered didn’t act on the patient’s heart but that the patient’s reaction to the remedy reestablished the normal function.

Da es der Patientin nach einer kurzen Erholungsphase wenig überraschend wieder schlechter ging, gab er ihr zum Abschid noch ein Mittel in der Verdünnung 10 M (1:1030), nach homöopathischer Denkweise also etwas Schwächeres, da weniger stark verdünnt als das Erste.

Im weiteren Verlauf stellt er dann, heute im Jahre 2013, einen Fall, der von Dr. Eugene Beauharnais Nash (1838-1917) beschrieben wurde, vor. Eine 75-jährige Patientin mit plötzlich auftretenden Schmerzen in der Magengegend, viel Blut im Erbrochenen (Hämatemesis) und blutigem Stuhlgang (Hämatochezie) und das 65 Mal innerhalb von 24 Stunden wird mit einigen Globuli D200 behandelt. Die Patientin soll überlebt haben und erst fünf Jahre später gestorben sein.

Patient was a lady, seventy-five years of age, who was suddenly seized with sickness at the stomach and vomiting of blood in large quantities; then bloody stools followed, which were at first profuse then became small and of bloody mucus. There was great tenesmus and pain in the bowels. Aconite, Mercurius, Nux vomica, Ipecacuanha, Hamamelis and Sulphur, all tried as well as I knew how to select them at that time, but no relief came, and at the end of twelve days my patient was rapidly going down and it looked to me as though she must die. She had become so weak that she could not lift her head from the pillow. By actual count the number of stools passed on cloths in the bed was sixty-five, in twenty-four hours, the pains, number of passages and all symptoms were aggravated from sundown to sun-rise (this is another characteristic of Colchicum).
[…]
Well, I got home. But I started early the next morning to try and make amends for my rashness (if the patient was not dead) of yesterday. Imagine my surprise as I stepped into the sick-room when my patient slowly turned her head upon the pillow and said, with a smile, good morning, doctor.
[…]
Imagine my surprise as I stepped into the sick-room when my patient slowly turned her head upon the pillow and said, with a smile, good morning, doctor.

Nun befinden wir uns nicht mehr im 19. Jahrhundert, aber André Saine von den kanadischen Homöopathen hält es für sinnvoll diesen Fall für die angeblichen Heilungserfolge der Homöopathie herauszustellen. Wahrscheinlich hat keine noch älteren Fälle gefunden. Nur noch einmal zur Klarstellung: Es handelt sich hierbei nicht um einen geschichtlichen Exkurs über veraltete Behandlungsmethoden aus früheren Jahrhunderten, sondern er stellt diesen Fall exemplarisch für die Wirksamkeit der Homöopathie in der heutigen Zeit vor! Das bedeutet, daß man jederzeit Gefahr laufen kann, von einem derart quacksalbernden Homöopathen hier und heute genau so behandelt zu werden, anstatt schnellstmöglich in das nächste Krankenhaus eingeliefert zu werden.

Literatur

Ein Kommentar

  1. […] homöopathische Fallbeschreibungen, Feuerwächter am 5. Oktober […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert