BGH hält Internetsperren für zulässig

Man kommt sich in diesem Lande immer mehr vor wie im Film „Und ewig grüßt das Murmeltier“. Wie ein Boomerang den man einfach nicht los wird, wenn man ihn wegwirft, kommen die immer gleichen Sachverhalte wieder und wieder auf die Tagesordnung, ohne daß es grundlegend neue Voraussetzungen dafür gibt. Alles dreht sich im Kreis, Dinge werden nie abgehakt. Vor einigen Wochen war es die Vorratsdatenspeicherung (die demnächst wieder kommt), gestern waren es nun die Internetsperren in Form von BGH-Urteilen und dann auch noch mit der Spannbreite an Schlagzeilen von „Gema scheitert mit Klage für Internetsperren“ (Golem) über „Illegale Musikdownloads: Bundesgerichtshof ebnet Weg für Netzsperren“ (Spiegel) und „Bundesgerichtshof schließt Netzsperren nicht aus“ (Zeit) bis zu „BGH erlaubt Internetsperren gegen Tauschbörsen“ (RP-Online). Die Urteile sind noch nicht öffentlich zugänglich, aber eine Pressemitteilung des BGH (Nr. 194/2015).

Sachlage

Im ersten Fall (Az. I ZR 3/14) ging es um eine Klage der GEMA gegen „Deutschlands größtes Telekommunikationsunternehmen“, weil Letzteres als Zugangsprovider den Kunden Zugriff auf die Webseite „3dl.am“ ermögliche, auf der sich eine Sammlung von URLs befand, welche das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Musikwerke ermöglichten, die wiederum illegal bei Sharehostern hochgeladen worden waren. Die GEMA war der Meinung, das Telekommunikationsunternehmen sei in der Pflicht seinen Kunden den Zugang zu dieser Seite zu unterbinden.

Im zweiten Fall (Az. I ZR 174/14) haben Tonträgerhersteller gegen die Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhalten, geklagt, weil dieses seinen Kunden Zugang zu der Webseite „Goldesel.to“ ermögliche, auf der Sammlungen von URLs zum Herunterladen urheberrechtlich geschützter Musikwerke im Filesharingnetzwerk „eDonkey“ bereitgehalten werden. Die Klägerinnen begründen ihren Unterlassungsanspruch auf §85 UrhG:

§ 85 Verwertungsrechte

(1) Der Hersteller eines Tonträgers hat das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Ist der Tonträger in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller. Das Recht entsteht nicht durch Vervielfältigung eines Tonträgers.

Genaugenommen wurden ja gar keine Tonträger zum Download angeboten, aber das ist eine andere Diskussion.

In beiden Fällen ging dieses jeweilige Verfahren, also das jeweilige Telekommunikationsunternehmen als Störer zu Internetsperren zu verpflichten, zwar für die Kläger verloren, aber nicht weil Internetsperren nach Auffassung des BGH grundsätzlich nicht zulässig wären, sondern weil die Kläger weitaus mehr zur Ermittlung der Täter hätten tun müssen. So erklären sich auch die scheinbar widersprüchlichen Schlagzeilen der Presse.

Das Urteil erinnert im Tenor etwas an das zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) des EuGH. Auch er hatte die Einführung einer VDS an hohe Hürden geknüpft, ohne sie grundsätzlich für unzulässig zu erklären. Deshalb kommt auch sie in regelmäßigen Abständen wieder hervor.

Der BGH hat in beiden Fällen den Telekommnikationsunternehmen die Störerhaftung zuerkannt, da sie „adäquat-kausal“ zu den Urnheberrechtsschutzverletzungen beitragen.

Als Störer haftet bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungsschutzrechts) auf Unterlassung, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat.

Hier muss man dann dringend die Begründung im Urteil lesen, wenn es veröffentlicht ist, denn es erhebt sich die Frage, welche Prüfungspflichten ein Telekommunikationsunternehmen in diesem Zusammenhang überhaupt haben sollte. Grundsätzlich unterliegen diese Unternehmen dem Telekommunikationsgeheimnis und haben an den Inhalten einer Kommunikation genau gar nichts zu prüfen (Telekommunikationsgesetz (TKG) §88 Fernmeldegeheimnis). Auch dürfen Botschaften jedweder Art weder abgehört, unterdrückt, verändert oder an Dritte weitergegeben werden. Genau aus diesem Grunde dürfen auch Spam-Mails nicht einfach auf dem Weg zum Empfänger gelöscht werden (Unterdrückung), sondern werden in einem gesonderten Ordner gesammelt! Jetzt sollen aber die Telkos auf einmal einer Prüfungspflicht der Inhalte unterliegen?

Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die – wie der Betreiber der Internetseite – die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder – wie der Host-Provider – zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechtsverletzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang – etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden – Nachforschungen vorzunehmen. An dieser Voraussetzung fehlt es in beiden heute entschiedenen Fällen.

Weiterhin ist der BGH der Auffassung, daß das deutsche Recht vor dem Hintergrund von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EGv (PDF) über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft richtlinienkonform auszulegen sei und deshalb eine Möglichkeit vorgesehen werden muss, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen.

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

Hier scheint der BGH in vorauseilendem Gehorsam zu handeln und das juristische Prinzip des „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz) zu verletzen, denn eine EU-Richtlinie ist eine Richtlinie und kein Gesetz. Sie verlangt von den Regierungen der Mitgliedsländer entsprechende Gesetze zu erlassen. Noch aber hat die Deutsche Bundesregierung als Gesetzgeber kein Gesetz zur Einführung von Internetsperren verabschiedet (oder sollte das derart leise über die Bühne gegangen sein?), so daß es in Deutschland auch noch keine Rechtsgrundlage für Internetsperren bei Urheberrechtsverstößen gibt. Im Gegenteil, es müsste explizit überprüft werden inwieweit die EU-Richtlinie mit dem Grundgesetz und der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist, bevor die Mitgliedsstaaten entsprechende Gesezte erlassen.

Gemeinsamkeiten

Inhaltlich geht es um denselben Sachverhalt, wie vor einigen Jahren bei dem Versuch Internetsperren zu etablieren, um den Zugriff auf Bildmaterial mit sexuellen Handlungen an Kindern, vulgo Kinderpornografie, zu unterbinden. Aus rein technischer Sicht ist die Art der Datei (Filme, Fotos, Musik, Texte) auf die der Zugriff verhindert werden soll vollkommen belanglos. Damals wurden Internetsperren verworfen, weil Einige begriffen hatten, daß die Realisierung erhebliche juristische Probleme aufwirft und aus technischen Gründen nicht wie gewünscht realisierbar, bzw. vollkommen wirkungslos ist.

Unterschiede

Der erste Anlauf zu Internetsperren ging im Wesentlichen von der Politik und dem Bundeskriminalamt (BKA) aus. Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen wollte auf dem „kurzen Dienstweg“ obskure, rechtlich höchst fragwürdige weil grundrechtsverletzende Abmachungen und Verträge mit den Internetprovidern zur Einrichtung von Internetsperren treffen. Bis zuletzt blieb unklar wer die genauen Vertragspartner sein sollten. Auf der einen Seite auf jeden Fall die Internetprovider und die Telekommunikationsanbieter, aber wer auf der anderen Seite? Das BKA, das Ministerium oder ganz allgemein die Bundesrepublik Deutschland? Im vorliegenden Falle hingegen ist die Politik (noch) außen vor und es liegt ein höchstrichterliches Urteil vor, welches Internetsperren als letzte Möglichkeit für zulässig befunden hat.

Auf Grund der NSA-Snowden-Affäre hat sich auch die Netznutzung in technischer Hinsicht gegenüber damals etwas verändert, wenn auch nicht prinzipiell. Der Anteil der verschlüsselten Verbindungen, insbesondere Zugriffe auf Webseiten über https, hat erheblich zugenommen. Wurden damals fast nur sicherheitsrelevante Webseiten (z.B. Online-Banking) versucht über https zu schützen, wird heute selbst für viele banale Inhalte der Abruf über https angeboten, was bestimmte Sperrmöglichkeiten (s.u.) nun endgültig aus dem Repertoire der Möglichkeiten ausschließt.

Sperrmöglichkeiten

Da sich die technischen Grundlagen des Internets in keiner Weise von denen von vor einigen Jahren unterscheiden, sind sowohl die prinzipiellen Möglichkeiten eine Sperre technisch zu realisieren, als auch die Kritiken daran gleich geblieben. Der BGH nimmt bei Internetsperren auch bewusst Kollateralschäden in Kauf, denn er schreibt:

Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen.

In diesem Falle sind Kollateralschäden auf Grund von Überblockung nichts weiter als weitere Grundrechtsverletzungen (Meinungsfreiheit, Rezipientenfreiheit, Wissenschaftsfreiheit etc.), mithin also Zensur. Die Fragen wer die Verhältnismäßigkeit feststellt und wie Juristen den Begriff „Internetseite“ hier genaudefinieren bleiben offen.

URL-Sperren
Sehr aufwändige Verwaltung, aber bei korrekter Durchführung mit den geringsten Kollateralschäden verbunden, dafür massiv grundrechtsverletzend und weitestgehend wirkungslos, da die Anbieter permanent neue URLs zur Verfügung stellen werden.

Um URLs sperren zu können, muß der Provider wissen, welche URL überhaupt aufgerufen wurde. Um dies in Erfahrung zu bringen muss er in jedes Datenpaket hineinsehen (deep packet inspection, dpi), ggf. auch erst mehrere sammeln, die Nutzdaten extrahieren und zusammensetzen, um an die angeforderte URL zu gelangen, diese dann mit einer Liste abgleichen und weitere Pakete dieser Verbindung verwerfen oder beantworten, je nach Ausgestaltung der Sperre (Wer bestimmt dies?). Dieses Verfahren kollidiert gleich in zweierlei Hinsicht mit dem Telekommunikationsgeheimnis. Einerseits muss der Inhalt einer Kommunikation überprüft werden und anschließend wird ggf. die Weiterleitung der Datenpakete unterdrückt oder verändert, obwohl keine operative Gefährdung des Dienstes vorliegt. Beides ist nach gegenwärtiger Rechtslage rechtswidrig. Nicht umsonst musste daher auch eine Ausnahmeregelung für Geheimdienste geschaffen werden, die genau diese dpi anwenden um die Kommunikation der Bürger mitzulesen. Da diese Methode bei verschlüsselten Verbindungen (https) nicht funktioniert, braucht man über sie nicht weiter nachzudenken.

DNS-Sperren
Schnell einzurichten, aber weitestgehend wirkungslos und mit hohem Störpotential für andere Dienste.

Es gibt eine Unzahl an DNS-Servern, aus der sich der Internetnutzer innerhalb von Sekunden einen sinnvollen aussuchen kann. Jeder Provider stellt heute einen zur Verfügung (das war nicht immer so, weil technisch für einen Anschluss ans Internet nicht notwendig), aber es gibt keinen zwingenden, weder technischen noch juristischen, Grund für Kunden, den Server ihres Providers zu nutzen. Das geschieht oft nur aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit. Großunternehmen betreiben oft ihre eigenen DNS-Server, aber auch jeder Privatnutzer kann einen selbst aufsetzten. Eine Sperre beträfe dementsprechend immer nur diejenigen, die gerade den DNS-Server benutzen, auf dem die Sperre aktiv ist.

IP-Adresssperren
IP-Sperren sind einfach einzurichten, aber der Kollateralschaden wäre immens. Das käme der Bekämpfung von Blattläusen mit Atombomben gleich. Hinter einer IP-Adresse kann sich eine beliebige Anzahl von Diensten (http, mail, ftp etc. pp.) und abertausende Websites, die nichts miteinander zu tun haben, verbergen. Allerdings kann man von außen nicht sehen was sich hinter einer IP-Adresse alles verbirgt. Der BGH spricht davon, daß die Verhältnismäßigkteit bei Einrichtung von Internetsperren gewahrt bleiben muss. Wie sollte diese im Falle von IP-Sperren festgestellt werden? Mann kennt bestenfalls die Zahl urheberrechtsverletzender Inhalte, aber nie die Gesamtmenge verfügbarer Daten hinter einer IP-Adresse.

Allen Sperrmethoden ist gemein, daß zunächst umfangreiche Listen der zu sperrenden Objekte (URLs, IP-Adressen) erstellt werden müssten. Die Erstellung bzw. die Meldung zu sperrender Objekte würde durch die Rechteinhaber erfolgen, aber damals wie heute wäre vollkommen unklar wer diese Listen verwalten, pflegen und vor allen Dingen in welchen Abständen die Rechtmäßigkeit des Weiterbestehens der Sperre der in den Listen enthaltenen Objekte geprüft werden sollte. Ebenso ist damals wie heute vollkommen unklar, gegen wen ein fälschlicherweise Gesperrter Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Wie und vom erhält man überhaupt Kenntnis, daß man gesperrt worden ist und nicht nur eine Störung des Dienstes vorliegt? Wer hat wem gegenüber Informations- und Auskunftspflichten? Der Geschädigte stellt zwar sehr schnell eine Abnahme der Abrufe fest, aber die Ermittlung der Ursache ist alles andere als trivial. Ein Unternehmen kann so binnen Tagen in die Pleite getrieben werden (Eingriff in die Berufsfreiheit). Ich gehe davon aus, daß die Sperrlisten wie schon im Falle der KiPo-Sperren nicht öffentlich zugänglich gemacht werden, da andernfalls jeder sofort wüßte wo er die verbotenen Downloads erhält. Ähnlich sieht es auf Seiten des Surfers aus. Wie wird ihm signalisiert, daß es sich um eine Sperre handelt und nicht um eine technische Störung irgendwo zwischen seinem Rechner und dem Webserver? Sollen wieder Stoppschilder wie zu Zeiten von Zensursula eingeführt werden oder soll (rechtswidrige) Datenunterdrückung betrieben werden?

Selbstverständlich hat sich auch an dem Umstand, daß die Einführung von Internetsperren nicht ohne die Errichtung einer umfassenden technischen Zensurarchitektur möglich ist, nichts geändert. Ein Mißbrauch ist damit vorprogrammiert. Auch sei daran erinnert, daß zu Zeiten der Stoppschildforderung die Musikindustrie auf den Zug aufspringen wollte und bei Urheberrechtsverletzungen ebenfalls Internetsperren ausgesprochen haben wollte. Vor einigen Jahren wurde dieses Ansinnen von der Politik noch zurückgewiesen, heute gibt es ein höchstrichterliches Urteil dazu, welches Internetsperren dsbzgl. für zulässig hält.

Fazit

Juristen haben das zweifelhafte Privileg Urteile, an die sich andere zu halten haben, fällen zu dürfen, ohne sich über ihre Umsetzung im realen Leben Gedanken machen zu müssen. All die genannten Punkte wurden schon in den Jahren 2007-2010 diskutiert, als Ursula von der Leyen noch mit ihrem Zugangserschwerungsgesetz für Internetsperren und Stoppschilder im Internet auf Wahlkampftour ging. Jetzt hat der BGH ein Urteil gefällt, als ob es damals die ganze Diskussion nie gegeben hätte (juristisch hat es sie in gewisser Weise nie gegeben, da keine Urteile gefällt wurden), nur eben bei Urheberrechtsverletzungen und nicht beim Zugriff auf Darstellungen sexueller Handlungen von und an Kindern.

Ein Kommentar

  1. […] diese kurze Formel lassen sich auch die Urteile des BGH bringen, in denen er den Telekommunikationsunternehmen bis dato unspezifizierte Prüfungspflichten […]

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