BMJ legt als Diskussionsgrundlage ein Eckpunktepapier zur „Beschneidung des männlichen Kindes“ vor.

Nach dem Urteil des LG Köln vom 07.05.2012, zur Strafbarkeit religiös motivierter Knabenbeschneidung, hat nun das Bundesministerium für Justiz (BMJ) unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mit Datum vom 24.09.2012 und Frist zur Stellungsnahme zum 01.10.2012 einen Gesetzentwurf zur Legalisierung derselben an die betroffenen Verbände und Fachkreise als weitere Diskussionsgrundlage versand. Die kurze Antwortfrist sei der Tatsache geschuldet, daß das Vorhaben als „eilbedürftig angesehen wird“.

Der Vorschlag des BMJ sieht eine ergänzende Regelung im Familienrecht vor:

„Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“

Geregelt wird nur die nach dem Urteil des LG Köln tatsächlich problematische Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen.

Die Mädchenbeschneidung bleibt weiterhin generell verboten, das ist gut, erklärt aber nicht, wie sich das mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz verträgt, denn es gibt auch bei Mädchen eine Form der Beschneidung, die einen dem der Jungen ähnlichen Eingriff darstellt (Es erfolgt dabei „nur“ die Entfernung der Klitorisvorhaut). Warum soll also der Eingriff bei Mädchen sinnvollerweise verboten bleiben, aber bei Jungen explizit erlaubt werden? Aus welchem Grunde sollen Jungen schlechter als Mädchen gestellt werden, deren Geschlechtsorgane tabu sind?

Keine Sonderregelung für religiös motivierte Beschneidungen: Der Entwurf stellt bewusst nicht auf eine religiöse Motivation der Eltern ab. Die Rechtspraxis sähe sich sonst vor die schwierige Aufgabe gestellt, den Inhalt religiöser Überzeugungen ermitteln zu müssen.

Hier windet sich das Ministerium, denn ohne Religionen, bzw. deren einflussreicher Lobby, wäre die Frage gar nicht erst und schon mal gar nicht derart schnell (Eilbedürfnis!), vom Gesetzgeber aufgegriffen worden. Abgesehen davon, ist die Begründung des Ministeriums scheinheilig, denn in anderen Fällen wird durch Gerichte genau diese religiöse Motivation bereits geprüft, nämlich im Verlauf von Asylverfahren. Einige Asylbewerber aus islamischen Ländern konvertieren erst hier in Deutschland zum Christentum, sie sind also nicht auf Grund von religiöser Verfolgung geflohen. Es ist nun nicht ganz abwegig anzunehmen, daß einige Asylbewerber durch einen Übertritt zum Christentum versuchen, sich dadurch einen Bleibegrund zu verschaffen, in dem sie sich hier bewusst einen möglichen Verfolgungsgrund für den Fall der Rückkehr in ihr Heimatland verschaffen, da in vielen islamischen Ländern der Abfall vom Islam drastisch (Apostasie), bis hin zur Todesstrafe, bestraft wird. Aus diesem Grunde prüfen deutsche Gerichte in Asylverfahren bei solchen Konvertiten regelmäßig (bspw. hier), ob der Übertritt tatsächlich aus rein religiösen Motiven erfolgte. Mit dieser Praxis scheint das Ministerium offenbar keinerlei Probleme zu haben, obwohl in beiden Fällen der Inhalt religiöser Überzeugungen zur Disposition steht.

[…] eine unter Beachtung der medizinischen Standards im Einzelfall gebotene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung abgedeckt.

Mal andersherum gefragt, gibt es Fälle in denen eine Amputation der Vorhaut schmerzfrei abläuft, so daß keine Schmerzbehandlung erforderlich erscheint? Man bedenke hierbei, daß im Judentum durchaus die Auffassung vertreten wird, daß die Beschneidung nicht unter Betäubung stattfinden darf. Hier wird bewusst eine unnötige Körperverletzung entgegen dem Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit legalisiert. Sollte dieser „Kunstgriff“ vor dem Verfassungsgericht bestand haben, ließe sich dann nicht auch Folter rechtfertigen?

Pflicht des Beschneiders zur umfassenden Aufklärung der Eltern vor dem Eingriff:
Die umfassende Aufklärung der Eltern über den Eingriff, seine Folgen und Risiken ist bereits nach geltendem Recht Voraussetzung für ihre wirksame Einwilligung. Die rechtfertigende Einwilligung in einen medizinisch nicht indizierten Eingriff in die körperliche Unversehrtheit setzt nach geltender Rechtslage zwingend eine ordnungsgemäße und besonders umfassende Aufklärung des Rechtsgutsinhabers oder – wie hier – seiner gesetzlichen Vertreter voraus. Eine zusätzliche Erwähnung dieses Erfordernisses im Regelungstext ist daher nicht erforderlich.

Dies mag logisch richtig sein, geht wohl aber an der religiösen Praxis weit vorbei. Wer die Beschneidungsdebatte verfolgt, wird feststellen, daß auf Seiten der Beschneidungsbefürworter nur traditionell-religiöse Gründe für eine Beschneidung angeführt werden, jedoch eventuelle Risiken für das Kind mindestens verharmlost, in den meisten Fällen schlicht ignoriert und als nicht existent behauptet werden. Man darf daher annehmen, daß in der gelebten Praxis von den Beschneidern keinerlei sachgerechte Aufklärung der Eltern erfolgt, denn schließlich geht es hier um den Willen Gottes!

Über den Kindeswohlvorbehalt in Absatz 1 Satz 2 kann dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag Rechnung getragen werden, wenn die Umstände des Einzelfalls zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen. In diesem Rahmen kann auch ein etwa entgegenstehender Wille des Kindes zu berücksichtigen sein.

Alibiargument, denn im Zweifelsfalle wird dsbgl. von religiösen Eltern den Äußerungen von Säuglingen und Kleinkindern keine Bedeutung beigemessen werden. Der Kleine schreit öfter mal, der Kleine ist immer so unruhig.

Die Regelung erlaubt solchen von einer Religionsgesellschaft vorgesehenen Personen Beschneidungen durchzuführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet sind und bezogen auf die Beschneidung eine dem Arzt vergleichbare Befähigung aufweisen.[…]einerseits und des Gesundheitsinteresses des Kindes andererseits auf die ersten sechs Monate nach der Geburt des Kindes begrenzt sein

Im Grunde wurde hier, ohne es direkt zu benennen, eine Sonderregelung für jüdische Beschneider (Mohel) geschaffen, denn nur im Judentum erfolgt die Beschneidung bereits systematisch im Säuglingsalter, im Islam hingegen erst einige Jahre nach der Geburt. Doch die wesentlichen Fragen wurden jedoch nicht geklärt, denn wer bestimmt ob die Beschneider „eine dem Arzt vergleichbare Befähigung aufweisen“? Die Führer der Religionsgemeinschaft? Ein noch zu schaffendes Gremium? Wird eine Zusatzqualifikation „Beschneider“ — wie wäre es mit Zirkumziseur, der Herumschneider? — geschaffen, wie von Israëls Oberrabbiner Yona Metzger vorgeschlagen?

Der ganze Entwurf ist einziger Kniefall vor der religiösen Lobby und steht sowohl im Widerspruch zu dem Geiste des Grundgesetzes, der Menschenrechte und der von Deutschland unterzeichneten UN-Kinderrechtskonvention, als auch gegen die Auffassung von Fachverbänden.

Mit viel Mühe und gegen Widerstände, insbesondere von religiöser Seite, wurde jedwede körperliche Züchtigung von Kindern verboten und nun soll eine explizite Sondergenehmigung für die religiös-motivierte körperliche Verstümmelung von kleinen Jungen geschaffen werden. Im Kern besagt diese Sonderregelung, daß eine Ohrfeige schlimmere Folgen für ein Kind hat, als die bleibende Entfernung der Vorhaut, welches nachhaltig in das sexuelle Empfinden des Mannes eingreift.

Eine weitere Folge dieses Gesetzentwurfes wäre, daß dann jeder Junge ohne Angabe von Gründen beschnitten werden könnte. Bis jetzt bewegen sich Religiöse in einer gewissen Grauzone, es wurde quasi geduldet, aber im Zweifelsfalle gab es eine Handhabe. Nun sollen Eltern bei der Vorhautamputation freie Hand haben. Mama mag aus ästhetischen Gründen keine Vorhäute? Also weg damit!

Re: Wie stramm kann man Jungen beschneiden?
susie68 | 18. Mai 2012 21:50
moechte meinen sohn auch beschneiden lassen, wo wird das gemacht, und was kostet es? ist doch viel sauberer und sieht auch besser aus. nicht wie ein verschrumpelter lappen.

Weiterführendes:

Nachtrag 28.09.2012:

3 Kommentare

  1. […] Landes nicht nur nicht weiter vorantreibt, sondern sogar bestrebt ist, diese zurückzudrehen (Legalisierung männlicher Genitalverstümmelung) und dadurch zum Motor der Spaltung der Gesellschaft wird. Sollte der Vorschlag des BMJ zur […]

  2. […] kommt wie es bereits von vielen Gegnern der Knabenbeschneidung befürchtet, so auch hier und hier, wurde: Der Ruf nach Legalisierung der Mädchenbeschneidung! In einer Veröffentlichung von Oktober […]

  3. […] BMJ legt als Diskussionsgrundlage ein Eckpunktepapier zur „Beschneidung des männlichen Kindes“ … […]

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