Sollen wir im Irak eingreifen?

Vieles, nicht alles, von dem was derzeit in der Region Syrien und Irak passiert haben wir dem Einmarsch der Amerikaner unter dem Vorwand der Massenvernichtungswaffen zu verdanken. Die Sache ist geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen, insofern ist es müßig über die Schuldfrage zu lamentieren. Die Situation ist wie sie ist. Sie ist der Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen und die Schuldfrage in der Praxis momentan schlicht irrelevant.

Saddam Husseïn war mitnichten ein friedfertiger Waisenknabe, aber es war zu seiner Zeit deutlich ruhiger und sicherer als heute, was mit Sicherheit auch daran lag, daß er areligiös orientiert war und dsbzgl. alle gleich schlecht behandelt hat. Die Ursache seines brutalen Vorgehens gegen die Kurden lag in deren Seggregationsbestrebungen. Ein Umstand der ihnen bis heute auch das Mißtrauen der türkischen und iranischen Regierung einbringt. Obwohl es wahrscheinlich wirklich das Vernünftigste wäre, sich aus Teilen der Türkei, Syrien, Irak und des Iran einen eigenständigen Kurdenstaat formen zu lassen, nur das dort eben viele regieren, mit Ausnahme der Vernunft. Ich persönlich bin im Gegensatz zu Außenminister Steinmeier nicht der Meinung, daß dies mittel- bis langfristig die Region weiter destabiliseren würde und kurzfristig kann es dort eigentlich nicht viel instabiler werden. Die Anrainerstaaten müssten allerdings nicht nur ihren Nationalismus überwinden, um neue Grenzziehungen zu erlauben und genau daran würde es scheitern. Außerdem habe ich den Eindruck, daß Steinmeier versucht dem NATO-Mitglied Türkei nach dem Mund zu reden.

Das beharrliche Festhalten an der Einheit des Kunstgebildes Irak erscheint mir wenig hilfreich bei der Suche nach Lösungsansätzen für die Zukunft. Vordringliches Ziel muß es in jedem Falle, zumindest aus unserer Sicht, sein, der Schlächterei der IS Einhalt zu gebieten.

Hinzu kommt noch, daß der Irak von Ländern wie Saudi Arabien, Kuweit und Iran umgeben ist, die ihre ganz eigene, gewagte Vorstrellung von Menschenrechten haben. Realistisch betrachtet erledigt die IS (ISIS) in Syrien und Irak die Drecksarbeit für die Nachbarstaaten, denn Christen, Juden, Jesiden, Atheisten sowie alle anderen Nicht- und Fehlgeläubigen sind den Nachbarregimen genauso verhasst und sie haben nicht unbedingt etwas dagegen, wenn das Gelände von ihnen gesäubert wird. So dient der Aufmarsch saudischer Truppen auch weniger der Bekämpfung der IS im eigentlichen Sinne, sondern lediglich dem Schutz der Integrität von Saudi Arabien und dem Machterhalt des Herrscherhauses Saud. Ideologisch befindet man sich jedoch weitestgehend in Übereinstimmung. Der gemeine Saudi ist bereits in einem System wie es die IS anstrebt geboren und aufgewachsen, nur die Herrscher genießen nach Herzenslust alle Freiheiten zwischen Alkohol und Homosexualität, vorzugsweise in den Ländern der Ungläubigen. Würden die Nachbarn die IS als gemeinsamen Feind betrachten wäre man durchaus in der Lage ihn zu bekämpfen, aber hierzu müsste es u.a. zu gemeinsamen Aktionen von Saudi Arabien und Iran kommen. Eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt ziemlich absurde Vorstellung.

Auch auf Seiten der UN ist es zu diesem Thema verdächtig still. Ich habe ja den Verdacht, die umliegenden Staaten blockieren dort schnelle Lösungen, weil sie sich eben nicht wirklich von den Zielen der IS distanzieren wollen.

Nachdenkenswert dazu auch die Haupthemen der heutigen Ausgabe der kuweitischen Zeitung Al-Watan:

  1. Ausbürgerung von Regimegegnern
  2. Anzahl der Anträge auf Wohnraum (4293)
  3. Bevölkerungszahl von Kuweit kurz vor und nach der Befreiung (650.000:1.000.350)
  4. Eine Meldung zu Netanjahu und Israël
  5. Meinung zu Steinmeiers Absage an einen Kurdenstaat („Die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates gliche einem Sturm für die Region.“)
  6. Syrische Luftwaffenangriffe auf die ISIS
  7. Ein amerikanisches Mädchen stemmt ein Gewicht von 95 kg mit einem Arm
  8. Die Warnung Camerons an die westlichen Länder zu ISIS
  9. Wechselkurs USD zu KD (1:0,283)
  10. Die Aufforderung der saudischen Religionspolizei an das Innenministerium Ketzer und all diejenigen, die Allah oder den Propheten Mohammed beschimpfen, zu inhaftieren.

Nur eine Momentaufnahme, aber sie zeigt dennoch welche Themen offiziell nach außen als relevant eingeschätzt werden. Kleines Detail am Rande: Al-Watan kennt noch keine IS, sondern schreibt noch von ISIS, als ob es Kuweit nicht beträfe sondern nur Syrien und den Irak. Immerhin hat Kalif Ibrahim bereits angekündigt nach Kuweit einfallen zu wollen, um die Amerikaner dorthin zu locken, da sie nicht nach Amerika können. Außerdem gehört Kuweit zum Grundstock des neuen, alten Kalifats.

Unter diesem Aspekt scheint mir ein direktes militärisches Eingreifen mit Bodentruppen unter keinem allzu günstigen Stern zu stehen, denn diese dürften in weiten Teilen der Bevölkerung nicht vorbehaltlos willkommen sein, um es milde zu formulieren, da der Anteil der IS-Symphatisanten recht hoch zu sein scheint. Anders kann ich mir die schnellen militärischen Erfolge der IS nicht erklären, denn die offiziell kolportierte Truppenstärke von 10-20.000 Mann ist in Relation zur Größe des eroberten Gebietes gering. Vielleicht auch mit einer der Gründe, warum bisher auf einen Durchmarsch nach Bagdad mit immerhin 7 Mio. Einwohnern verzichtet wurde. Bagdad zu halten ist zeitaufwendig und kostet Personal, bringt aber kein Einkommen, im Gegensatz zu den eroberten Ölfeldern. Weiterhin wollten anscheinend auch selbst viele Iraker ihr Land nicht verteidigen, warum sollten es dann andere tun?

Waffenlieferungen in die Region stehe ich ebenfalls skeptisch gegenüber, denn im Grunde dürfte es schwer zu kontrollieren sein, wen genau man eigentlich beliefert. Dazu ein Beispiel. Vor zwei Tagen bereicherte der neue Kalif von Bagdad, al-Baghdadi alias Kalif Ibrahim, die Welt um einen weiteren Tweet, in dem er der Welt mitteilt „Wir schlachten die Ketzer mit Grausamkeit und das ist unsere Art, um die Gegner zu terrorisieren.“ und dabei auf ein Video verweist, in welchem über 15 Minuten das Schächten von jungen Männern und das Abtrennen ihrer Köpfe mit einem Küchenmesser detailgetreu dokumentiert ist.

Das Video steht jedoch nicht unter dem YouTube-Konto der IS, sondern gehört augenscheinlich zu einem Konto von Angehörigen vom Forum „Syrian Army Free“ in dessen Beschreibung es heißt „Ein Video über eine Gruppe junger ISIS-Leute, die Moslems aus dem Osten schlachten und bestrafen, um einen Eindruck davon zu geben, welche Verbrechen von al-Baghdadis Organisation begangen werden und [welches nicht dazu dient] Zuschauer einzuschüchtern“. Das Video, von dem es mehrere Versionen geben müsste, da darauf sporadisch andere Filmdende zu erkennen sind, ist also Teil eines Propagandakrieges rivaliserender Banden. Es ist durchaus bezeichnend, daß sie extra hinzufügen müssen, daß sie niemanden einschüchtern wollen, denn wirklich besser ist die Gruppierung der syrischen Opposition nun auch nicht, denn auch sie berufen sich auf Mohammed als ihren Führer. Da sich auch die IS aus Angehörigen der syrischen Oppostion speist, kann man davon ausgehen, daß Waffen- oder Geldlieferungen (Obama verspricht 500 Millionen) auch an die IS fließen werden. Ebenso gibt es innerhalb der Kurden mehrere konkurierende Strömungen, die momentan nur vom gemeinsamen Gegner IS überdeckt werden.

Auch mir fehlt das Schwert welches den gordischen Knoten durchschlagen kann, um eine Lösung herbeizuführen. Einserseits muss dem Schlachten ein Ende bereitet werden, aber durch Verhandlungen mit der IS wird dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gelingen, da sie nicht kompromißbereit, ja nicht einmal verhandlungsbereit, ist. Mit Worten wird man diese Leute daher nicht aus ihrem Blutrausch herausholen können. Andererseits werden Waffenlieferungen das Massaker weiter am Laufen halten und die Entsendung von westlichen Kampftruppen zwischen die Fronten rivialisierender, aber der IS ideologisch nahestehender Staatsformen verspricht auch keine dauerhafte Lösung, zumal auch nicht klar erkennbar ist, wer Freund und wer Feind ist. Ich persönlich bezweifele ehrlich gesagt auch die des Öfteren beschworene moralische Verpflichtung Deutschlands dort eingreifen zu müssen, da die Brut genau dort entstanden ist und von dort gefüttert wird. Zumal auch die angebliche Verpflichtung nicht weiter begründet wird. Warum genau ist unsere Verpflichtung größer als bspw. die von China, Brasilien, Nordkorea oder Namibia? Die Politik in diesem Lande begründet nichts und leitet nichts mehr her, es werden nur noch Feststellungen getroffen.

Die Lage scheint mir ähnlich zu sein, wie im Dreißigjährigen Krieg in Europa, der schließlich beendet wurde, oder besser gesagt zum Erliegen kam, weil ganze Landstriche Mitteleuropas entvölkert waren. Was mir allenfalls sinnvoll erscheint, ist die schnelle und flexible Einrichtung von Luftbrücken um akute Massaker zu verhindern, aber dies setzt einen Willen zum sofortigen Handeln unsererseits voraus. Aber selbst diese Hilfsmaßnahmen stoßen bei Großstädten sehr schnell an ihre Grenzen.

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