Die Vorratsdatenspeicherung nach der Vorratsdatenspeicherung

Wie ich schon nach dem Urteil des EuGH im April letzten Jahres vermutete taucht die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wieder auf, weil die Vorratsadatenspeicherungsbefürworter auf ihrem Ansinnen trotzig beharren. Etwas Anderes war auch nicht wirklich zu erwarten, denn es hat kein grundsätzlicher Personalwechsel stattgefunden. Eine Meinungsänderung bei den gegewärtigen Akteuren scheint mir so gut wie ausgeschlossen zu sein, da ihr Handeln nicht wissenschaftlich-rational gesteuert ist, sondern rein ideologisch: Man will es!

Auch wenn die VDS noch nicht durchgängig eingeführt ist und sowohl das BVerfG als der EuGH sie wenn doch nicht untgersagt, jedoch hohe Hürden für ihre Einführung errichtet haben, sollte man in Gedanken schon mal weiter denken, da die Grundqualifikation von Politikern technisches Analphabetentum ist, auch wenn sie Gesetze zu technischen Gegebenheiten erlassen. Selbst wenn die schon heute als unwirksam nachgewiesene VDS (zur zur Erinnerung, Frankreich hat eine VDS) flächendeckend eingeführt werden würde, wird die VDS mittel- bis langfristig aus technischen Gründen nicht wie erhofft die gewünschten Daten liefern können, mit der Folge, daß sofort danach weitergehende Forderungen erhoben werden müssen, die zwangsläufig tiefe Grundrechtsverletzungen darstellen werden. Das offenbar einigen Politikern eine vollkommen andere Rechtsordnung vorschwebt hatte ich bereits im Zusammenhang mit der Störerhaftung kurz dargelegt.

Sinn der gegenwärtig geplanten VDS soll die nachträgliche Indentifizierung der an einem Kommunikationsvorgang beteiligten Partner sein, ohne Einsicht bzw. Speicherung der Kommunikationsinhalte. Dieser Gedankengang geht auf das bisherige Telefonnetz zurück, wo eine eindeutige Verbindung zweier Teilnehmer erfolgt, die ohne Kenntnis des Gesprächsinhaltes ermittelbar ist. Derzeit werden aber die Telefonnetze großflächig und systematisch auf Internettechnologie (Voice over IP, VoIP) umgestellt. Viele Kunden der Deutschen Telekom haben deshalb bereits aus jusristischen Gründen (einseitige Vertragsänderung ist nicht möglich) die Kündigung ihres alten Vertrags und zeitgleich ein Neuangebot erhalten. Technisch gesehen verschwindet das alte Telefonnetz und wird durch ein reines IP-Netz ersetzt, mithin wird es keine zwei getrennten Netze mehr geben. Dadurch wird die Telefonie nur noch zu einem unter vielen gleichwertigen Diensten (Netzneutralität vorausgesetzt) im Internet. Prinzipiell unterscheidet sich nun in der Übertragungsart der Aufruf einer Webseite oder der Versand einer e-Mail nicht mehr von einem Telefonat, alles sind nur noch IP-Datenpakete, die erst am Zielort auf den jeweiligen Endgeräten durch Software entsprechend entpackt werden müssen. Nach dem OSI-Schichtenmodell ist die Telefonie somit von der Transportebene in die Anwendungsebene aufgestiegen. Damit werden die alten Telefonprovider nahezu obsolet, denn nun kann rein technisch jeder mit jedem telefonieren (Peer-to-Peer), die klassische Telefonnummer wird hierzu nicht mehr wirklich benötigt. Telekommunikationsunternehmen werden so zu Internetprovidern oder gehen in den Bestehenden auf und leiten nur noch Datenpakete weiter. Diese Änderung der Netze hat gravierende Auswirkungen:

  • Die bisherigen Verbindungsdaten (Vekehrsdaten) werden nahezu irrelevant, verschwinden ganz oder sind vollkommen nutzlos. Da z.B. praktisch jeder permanent online sein wird, geht bspw. die Aussagekraft von Beginn und Ende einer Internetverbindung gegen Null (vgl. bspw. §113a TKG (4) 3.).
  • Teile der bisherigen Verkehrsdaten werden zu Inhalten.
  • Der benutzte Dienst ist auf Transportebene nicht mehr erkennbar.
  • Inhalt und Dienst bilden im IP-Paket eine neue Einheit.

Um nun den Status quo für die VDS wieder herzustellen, müsste man ihre Wirkungsweise ebenfalls von den Verbindungsvorstellungen der Transportebene lösen und auf Anwendungsbene hieven. Technisch alles kein Problem und nur eine Frage der Speicherkapazität, denn es müssten nur die transportierten IP-Datenpakete gespeichert werden. Bei Bedarf werden dann die Datenpakete ausgelesen, zusammengesetzt und ihr Inhalt durchsucht (deep packet inspection, dpi) um den Dienst und die Kommunikationspartner zu identifizieren. Das funktioniert aber nur solange die Kommunikation unverschlüsselt erfolgte. Verschlüsselte Datenpakete ließen die VDS auf dieser Ebene wirkunsglos werden. Unter diesem Aspekt ist die im Dokument „Effektive Strafjustiz im digitalen Zeitalter – Bestimmung des Bedarfs – Sachstand“ (1.5 S. 5) gemachte Aussage …

Naturgemäß sind elektronische Beweismittel kurzlebig. Dazu kommt, dass Straftäter aufgrund der zunehmenden privaten Nutzung des Live-Streaming, der Verschlüsselung, des Entstehens des Darknet und der Anonymisierung der Strafverfolgung entscheidende Beweismittel vollkommen entziehen können. Somit können entscheidende elektronische Beweismittel verlorengehen, wenn den zuständigen Behörden keine geeigneten Mittel zur Verfügung stehen, um effektiv zu reagieren. Eine effektive Vorratsdatenspeicherungsregelung könnte sich in dieser Hinsicht als nützlich erweisen.

schlicht Unsinn und geprägt von technischem Unverstand. An dieser Stelle müsste die Politik den Einsatz von Verschlüsselung mit strafrechtlicher Verfolgung belegen wollen und keine VDS fordern. Ein Kryptoverbot wiederum hätte allerdings andere demokratiegefährdende Folgen und wäre aus anderen Gründen falsch.

IP-Datenpaktete sind aber nichts Anderes als die Kommunikationsinhalte! Eine VDS auf dieser Ebene stellt somit nichts Geringeres dar, als eine komplette „Mitschrift“ der abgelaufenen Kommunikation, genau das was die Geheimdienste, allen voran NSA und GHCQ, bereits heute betreiben. Auch wenn aus Sicht vieler Protagonisten der VDS diese Folgen wünschenswert erscheinen, kann man wohl davon ausgehen, daß diese Auswirkungen den Horizont den beteiligten Politiker weit übersteigen, denn immerhn wäre zwangsweise auch ihre Kommunikation betroffen.

Der allumfassenden staatlich angeordneten Speicherung aller Inhalte steht nun Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) entgegen und die Dienstleistungsunternehmen dürfen nach heutiger Rechtslage Kommunikationsinhalte weder einsehen noch speichern (§88 TKG (Fernmeldegeheimnis) & §206 StGB (Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses)). Wie auch schon im Artikel zur Störerhaftung darf auch hier der Hinweis auf die Verletzung, sogar Verunmöglichung des Rechts auf vertrauliche Kommunikation bei Rechtsanwälten, Ärzten und Journalisten nicht vergessen werden. Was bleibt ist nur die (ungehörte?) Warnung, daß eine VDS, wo immer sie angewandt wird (z.B. Diskussion zur Bargeldabschaffung = VDS für Finanztransaktionen), eine rechtsstaatgefährdende Angelegenheit darstellt.

Ein Kommentar

  1. […] der brasilianischen Justiz gibt es noch einen interessanten Punkt, zu einem Problem welches ich im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung schon mal angesprochen hatte, dem zu erwartenden verschwinden von reinen Telefongesellschaften. Den […]

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