Religiös motivierte Jungenbeschneidung ist strafbar

Das Landgericht Köln hat in einem hoffentlich wegweisenden Urteil (Az. 151 Ns 169/11) entschieden, daß die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen aus rein religiösen Gründen strafbar ist.

Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der äußere Tatbestand der einfachen Körperverletzung zwar erfüllt sei. Dieser Eingriff sei insbesondere nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Denn im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung überwiege das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegend die Grundrechte der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet.

Eine solche Entscheidung war längst überfällig, denn Kinder sind keine frei verfügbare Masse für Eltern bzw. Erziehungsberechtigte, die meinen sie nach ihrem Willen beliebig formen zu dürfen. Hartgesottene Religioten werden sich von diesem Urteil nicht abschrecken lassen und die Beschneidungen im Ausland oder in der Illegalität durchführen lassen. Doch dies ist kein Grund ihnen bei Jungen einen Freibrief auszustellen. Auch wenn die Genitalverstümmelung von Mädchen, euphemistisch ebenfalls als Beschneidung bezeichnet, qualitativ ein ganz anderer Eingriff ist, muß die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht auch für Jungen gelten.

Darüberhinaus setzt das Urteil ein Zeichen gegen die Sonderbehandlung von Religionsgemeinschaften. Der Zentralrat der Muslime tut was er am besten kann, er schweigt, obwohl dieses Urteil auch für Moslems von herausragender Bedeutung ist. Aber wie nicht anders zu erwarten, kommt vom Zentralrat der Juden umgehend heftige Kritik. Er sieht in dem Urteil einen

beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.

Zweifellos ist es ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht (welches es so als eigenständiges Recht gar nicht gibt, sondern nur ein Selbstverwaltungsrecht), aber wie immer geht es um die Abwägung von Rechtsgütern. Würde man tatsächlich das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften höher als die körperliche Unversehrtheit oder gar das Lebensrecht eines Individuums bewerten, ließe sich alles rechtfertigen. Religionsgemeinschaften müssen lernen, daß ihr Selbstbestimmungsrecht nur in den durch die staatliche Rechtsordnung festgelegten Grenzen gilt und kein übergeordnetes Rechtssystem darstellt.

Diese Rechtssprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt. Die Beschneidung von neugeborenen Jungen ist fester Bestandteil der jüdischen Religion und wird seit Jahrtausenden weltweit praktiziert. In jedem Land der Welt wird dieses religiöse Recht respektiert.

Dann wird es eben Zeit, daß ein Land anfängt die Religion(en) in ihre Schranken zu weisen. Nur weil es eine sehr alte Tradition ist, heißt das noch lange nicht, das es auch richtig ist. Über Jahrhunderte hinweg, bis in die heutige Zeit hinein, hat man es auch als vollkommen richtig erachtet Gefangene zu foltern und Andersdenkende/~glaubende mehr weniger grausam hinzurichten. In modernen Gesellschaftsordnungen wurde aus gutem Grunde auch mit diesen Traditionen gebrochen. Für Gruppierungen welche die Grundrechte von Kindern nicht achten ist in diesem Land kein Platz.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen und so die Religionsfreiheit vor Angriffen zu schützen.

Die 1913 gegründete jüdische Anti-Defamation League (ADL) aus den USA schlägt mit einer Mitteilung in dieselbe Kerbe:

We support the call by the Central Council of Jews in Germany for the German parliament to quickly pass legislation specifically protecting circumcision as a religious practice. Germany’s commitment to religious freedom requires nothing less.

We hope and believe the German parliament will have the political will to do so. Germany has dedicated itself to re-building Jewish life, and the consequences of a ban on circumcision would be a devastating blow to the future of the Jewish community. While the ruling by the court in Cologne does not appear to have anti-Semitic intent, its effect is to say „Jews are not welcome

Man kann jetzt nur hoffen, daß die Politik hier nicht einknickt und womöglich Handlungsbedarf entdeckt, in dem sie eine Ausnahmeregelung schafft, wie sie dies bereits unsinnigerweise für das religiös motivierte Schächten von Tieren ohne Betäubung getan hat.

Nachtrag 27.06.2012:
Bereits 2008 erschien ein auch für Nichtjuristen lesenswerter Artikel im Dt. Ärtzteblatt unter dem Titel „Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung“ Dtsch Arztebl 2008; 105(34-35): A-1778 / B-1535 / C-1503 (PDF).

Inzwischen hat es auch der Zentralrat der Muslime zu Stande gebracht eine Pressemitteilung zu formulieren:

einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht. Zudem wird dadurch eine erhebliche Zunahme der Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten entstehen.

Da haben jetzt Juden und Moslems eine Gemeinsamkeit entdeckt. Worin sieht der ZDM hier eine zunehmende Rechtsunsicherheit? Jetzt noch mal ganz langsam für Euch: Das Herumschneiden an kleinen Kindern aus religiösen Gründen ist verboten. Das gilt für Mädchen genauso, wie für Jungen. Ist das so schwer zu verstehen?

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sorgt sich hindessen um die Religionsfreiheit:

„Mir scheint diese Rechtsprechung mehr als fragwürdig. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, ob wir die Religionsfreiheit der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft besser schützen müssen.“

Ich wußte bisher gar nicht das Herr Beck für Steinigungen und für die Todesstrafe für Homosexuelle Männer ist. Vielleicht sollten er und seine Parteifreunde einen Umzug nach Iran oder Saudi Arabien erwägen, denn dort wird die Religion noch richtig gelebt bzw. für diese gestorben.

Nachtrag 05.08.2012:
Äußerst empfehlenswert ist die „Petition gegen Legalisierung von Beschneidungen“ mit einer wirklich ausführlichen Begründung unter Berücksichtigung kultureller Gegebenheiten.

11 Kommentare

  1. […] meint religiöse Traditionen seien in D geschützt. Es ist eigentlich erstaunlich, wer sich nach dem Urteil gegen rituelle Beschneidungen kleiner Jungen für einen Schutz des Sonderstatus von Religionen […]

  2. […] Religiös motivierte Jungenbeschneidung ist strafbar Tweet Schlagworte: Beschneidung, Ethik, Genitalverstümmelung, Grundgesetz, Jacques Schuster, Menschenrechte, Religionsfreiheit, Religiotie, Tradition […]

  3. […] Folgen des Beschneidungsurteils vom Kölner Landgericht werden immer ärgerlicher. In selten trauter Einigkeit bildet sich jetzt […]

  4. […] nimmt die Diskussion um das Kölner Beschneidungsurteil fahrt auf und die Begründungen warum Beschneidungen aus religiösen Motiven erlaubt sein sollten, […]

  5. Cees van der Duin sagt:

    Petition gegen rituelle Beschneidung
    20. Juli 2012

    Text der Petition

    Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:

    § 1631d
    Verbot der rituellen Genitalmutilation

    Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.

    http://eifelginster.wordpress.com/2012/07/21/297/

  6. Danke für den Hinweis, kannte ich noch nicht.
    Ein, wie ich finde, sehr guter, ambitionierter Text, dem ich inhaltlich voll zustimme. Auch wenn die dort erhobene Forderung sachlich richtig ist, sehe ich aber einen prinzipiellen Nachteil, denn es soll eine Sonderregel nur die Beschneidung betreffend geschaffen werden. Gesetze sollten aber zunächst allgemeingültig sein, damit nicht jeder Spezialfall eine eigene Regelung erfordert. Genaugenommen besagt das Urteil des Kölner LG bereits, daß wir gar keine neue Regelung benötigen, sondern nur bestehende Gesetze anwenden müssen. Aus diesem Grunde soll jetzt von der Regierung auch eine Ausnahmeregelung für religiös motivierte Jungenbeschneidung geschaffen werden und genau dies ist der eigentliche Skandal.

    Was wir meines Erachtens brauchen – was aber von der Politik wohl bisher absichtlich vermieden wird – ist eine klare Aussage zur Hierarchie der Grundrechte. Bisher werden alle Grundrechte als gleichrangig und gleichwertig eingestuft.

  7. Cees van der Duin sagt:

    Die Feministin, Ex-Europapolitikerin und GRÜNEN-Mitgründerin Eva Quistorp will die Jungenbeschneidung legalisieren, solange das vorher heile und hinterher rituell versehrte Kind nur ausreichend medikamentös betäubt ist sprich unter Drogen steht; dafür bekommt die gewaltverharmlosende so genannte Pazifistin eine herzhaft gepfefferte Kritik:

    Wenig paradiesisch: Eva und die Vorhaut
    Von Jacques Auvergne am 08.08.2012

    http://eifelginster.wordpress.com/2012/08/08/298/

  8. Cees van der Duin sagt:

    Eva Quistorp (Theologin) hat auf Jacques Auvergne (Sozialarbeiter) geantwortet, heute nachmittag. Beschneiden will die Theologin das betäubte männliche Kind nach wie vor, hier zwei Zitate aus ihrer Begründung; alle Denk- und Rechtschreibfehler sind geistiges Eigentum der Pazifistin und Feministin. Auch ich habe mich eingemischt.

    Quistorp: „Wenn ich es als wohl schwer zu ändernden Fakt aus verschiedenen Grünen anerkenne, dass wohl bei der Lage der Debatte und der Aufregung des Zentralrates der Juden und der Muslime, die mit SChlagworten wie Vertreiben und Verbieten Panikmache gemacht haben,das KÖlner Urteil nicht zu bundesweitem Recht werden wird ,habe ich nur eine Realität beschrieben und mir das nicht gewünscht. … Ich glaube, das judentum hat in seiner prophetischen udn liberalen Tradition mehr zu bieten als die bisherige BEschneidungsdebatte und der ISlam mit IBn Rushd und ABu Zaid mehr als KOpftuch, Burka, Beschneidungszwänge und gar SCharia in Europa“

    http://schariagegner.wordpress.com/uber/#comment-1900

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    Eva Quistorp (August 23, 2012 um 3:27 nachmittags, kommentiert auf dem Blog Schariagegner) windet sich wie ein Aal – und hat schon wieder nicht gesagt, dass sie die rituelle Vorhautamputation nicht will. Sie ist unsachlich genug, dem Sozialpädagogen Jacques Auvergne öffentlich zu unterstellen, ihren Beitrag falsch gelesen zu haben, entkräftet dessen prinzipiell beschneidungsgegnerische Argumente aber mit keiner Silbe.

    Theologin Quistorp verbreitet vielmehr einen amorphen Wortschwall aus irgendwelchem reformerischen Potential in den Hochreligionen verwirbelt mit irgendwie bedauernswerten bundesdeutschen Sachzwängen, implizit und wenig zufällig gipfelnd im sinngemäßen Fazit: „An einer Legalisierung der Jungenbeschneidung kommt die BRD nicht vorbei!“ Wie öffentlichg bekannt billigt Quistorp auch heute die nicht medizinisch indizierte Beschneidung. Und nichts anderes hat der pazifistische Sozialpädagoge und Beschneidungskritiker der pazifistischen Theologin und Beschneidungsfreundin vorgeworfen.

    Die beschneidungsbegünstigende Feministin könnte jetzt entweder so ehrlich sein, wiederholt sinngemäß: „Ja, ich will die MGM, aber nur mit Betäubung!“ zu sagen, das ist schließlich die nachweisbare Essenz ihres Essays Wider die postmoderne Religionspolitik, oder aber müsste endlich die Seite wechseln und öffentlich dafür eintreten, dass es in der kulturellen Moderne kein Elternrecht auf operative Mutilation des Kindergenitals gibt, aber eine Pflicht des Staates, dem Kind ein Selbstverständnis, Körperwahrnehmen und Sexualitätserfahren mit unversehrten eigenen Genitalien zu ermöglichen.

    Vielleicht um Halacha und Scharia zu entsprechen oder um Halacha und Scharia nicht zu widersprechen weicht Quistorp hingegen aus; wie eingangs gesagt: sie windet sich wie ein Aal. Das ist argumentativ unredlich und für mich als Naturschützer, Pazifist und Jungenarbeiter, der einmal geglaubt hat, sich in der Partei der GRÜNEN wieder zu finden, ziemlich enttäuschend.

    Immerhin ist klar, wer hier die Debatte zwischen dem Sozialpädagogen und der Theologin zum Thema Beschneidung gewonnen hat – argumentativ, ethisch und vielleicht schon bald ja auch juristisch.

    Cees van der Duin

    ::

  9. @Cees van der Duin
    Im Grunde lohnt es sich eigentlich nicht Energie in eine Auseinandersetzung mit Eva Quistorp zu stecken. Für mich erhebt sich die Frage, welche Relevanz sie überhaupt in der heutigen Politik spielt: Keine. Sie ist eine vollkommen irrelevante Figur. Entscheidend sind immer die Leute, die jetzt auf den Parlamentsesseln Entscheidungen fällen. Abgesehen davon, erscheint Quistorps Kommentar auf Schariagegner reichlich wirr, so als ob sie ihn mit Schaum vor dem Munde ob der Dreistigkeit einer Kritik an ihr verfasst hat. Immerhin ist sie nicht nur Theologin sondern vor allen Dingen auch Feministin.

  10. […] dem Urteil des LG Köln vom 07.05.2012, zur Strafbarkeit religiös motivierter Knabenbeschneidung, hat nun das Bundesministerium für […]

  11. […] im Hinblick auf die derzeit laufende Beschneidungsdebatte, deren Auslöser ebenfalls ein Urteil war, welches die körperliche Unversehrtheit von männlichen Kindern über das Erziehungsrecht und […]

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