Parteiübergreifendes Ärgernis

Die Folgen des Beschneidungsurteils vom Kölner Landgericht werden immer ärgerlicher. In selten trauter Einigkeit bildet sich jetzt eine parteiübergreifende Allianz aus CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD zur Manifestierung des Sonderstatus von Religionen, in dem sie eine Ausnahmeregelung für religiöse Beschneidungen schaffen wollen. Alle Parteien begründen dies mit dem Recht auf Religionsfreiheit, wie exemplarisch Sigmar Gabriel (SPD):

„Diese erste Entscheidung in Deutschland, die eine Körperverletzung bei religiös bedingten Beschneidungen von Jungen bejaht, verkennt die Bedeutung des Grundrechts auf Religionsfreiheit.“

Ein fadenscheiniges Argument, denn mit ihm ließe sich alles Begründen. In anbetracht der menschenverachtenden Inhalte religiöser Schriften eine grausame Vorstellung. In der Umkehrung stellt das Argument auch die bisherige Rechtslage zum Verbot der Züchtigung von Kindern und Frauen, der Mädchenbeschneidung etc. in Frage, denn wie sollten jetzt noch die Verbote begründet werden, wenn die Religionsfreiheit einer Gruppe über das Selbstbestimmungsrecht des Individuums gestellt werden würde? Bei Lichte betrachtet ist die Religionsfreiheit als gesondertes Grundrecht überflüssig, ist sie doch nur Teil der Meinungsfreiheit.

Genaugenommen geht es auch gar nicht mehr allein nur um die Beschneidung als Solche, sondern darum, daß Religionen und Traditionen generell im Konflikt mit dem gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrhunderte stehen. Tendenziell wurde mit der Aufklärung das Individuum und sein persönliches Streben nach Glück in den Vordergrund gerückt. Hierzu bedarf es aber der Möglichkeit zur Wahrnehmnung des Selbstbestimmungsrechtes, welches bei denjeingen, die es noch nicht äußern können, durch den Staat garantiert werden muß. Genau mit diesem Streben nach einem selbstbestimmten Leben haben aber alle Religionen ein massives Problem, zerstört es doch ihre Autorität, bzw. die ihrer Verkünder. Ein Kommentar zum Urteil des LG Köln vom ehemaligen bayerischen Landesbischof Johannes Friedrich zeigt diese Angst nur zu deutlich:

„Es gehört doch auch dazu, die Unversehrtheit der Psyche eines Kindes zu bedenken“, sagte Friedrich dem Evangelischen Pressedienst (EPD).
„Es kann viel verletzender sein, wenn ein Kind das Gefühl hat, dass es zu einer religiösen Gruppe nicht dazu gehört.“ Auch bei säkularen Juden sei die Beschneidung sehr wichtig, „vergleichbar mit der Taufe in der Volkskirche“.

Das psychische Schäden schwerwiegende Langzeitschäden hervorrufen können ist durchaus richtig, aber in diesem Zusammenhang spricht sein Argument gegen die Religion als Ganzes, offenbart sie doch sehr viel über deren Funktionsweise. Zunächst wird durch Rituale eine Abgrenzung zwischen den Angehörigen der Religionsgemeinschaft und dem Rest der Menschheit, zwischen Wir und Ihr, geschaffen. Wer sich dem nicht unterordnet wird ausgegrenzt, selbst wenn es Kinder sind. Intoleranz als Grundlage des Zusammenlebens.

Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich die christlichen Kirchen an die Seite ihrer verhassten Konkurrenz stellen, fürchten sie doch nichts so sehr, wie den Verlust ihrer eigenen Privilegien in dieser Gesellschaft. Wie groß die Angst vor dem Verlust der Sonderrolle der Religionen ist, zeigt auch die Aussage des Präsidenten der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, der in dem Urteil den „schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust“ sieht. Die Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für alle Bürger mit einem Massenmord zu vergleichen ist schon recht bizarr, aber vermutlich ist ihnen bewusst, daß die Rechtslage in anderen (europäischen) Ländern sehr ähnlich gelagert sein dürfte wie in Deutschland und da ist jedes Mittel recht um einen Präzedenzfall zu verhindern.

Sachlich ist an dem Urteil nichts auszusetzen und muss als Fortschritt betrachtet werden, stellt es doch die Hierarchie der Gesetze klar. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Parteien eine Sonderregelung begründen wollen, denn die religiöse Beschneidung ist nicht nur eine medizinisch nicht indizierte Körperverletzung, sondern auch ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und gegen die von Deutschland unterzeichnete UN-Kinderrechtskonvention Art 24 (3).

Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.

Selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages weisen bereits jetzt auf die Problematik einer Ausnahmeregelung für religiöse Beschneidungen hin. Auch die als Notbehelf schnell herbeizitierten medizinisch-hygienischen Gründe — und nein, die WHO empfiehlt nicht die Beschneidung für Kinder, wie bereits hier an anderer Stelle dargelegt wurde — können nicht überzeugen¹, warum es den Kindern in späteren Jahren nicht selbst überlassen bleiben sollte, sich für oder gegen eine Beschneidung zu entscheiden. Eine Entscheidung gegen die Tradition – evtl. auch frei von Religion zu leben – verlangt dem Jugendlichen in späteren Jahren immer noch ein recht hohes Maß an Selbstbewusstsein ab², denn der gesellschaftliche Druck kann enorm sein. Die frühe Beschneidung dient schlicht und ergreifend dazu, vollendete Tatsachen zu schaffen, um den Einfluss der Religion frühestmöglich zu festigen. Nicht vergessen werden sollte auch, daß sich unter 16-jährige selbst mit Einwilligung der Eltern weder tätowieren noch piercen (Ohrlochstechen fällt wiederum nicht unter piercen) lassen dürfen, aber für das Herumschneiden an männlichen Geschlechtsorganen soll eine Ausnahmeregelung geschaffen werden? Auch das Argument die Beschneidung sei eine unverhandelbare Position des Judentums vertreten durchaus nicht alle Rabbiner.

Die Begründung der Bundesregierung für eine Ausnahmeregelung, steht schon jetzt auf tönernen Füßen, läßt sie doch über den Regierungssprecher Steffen Seibert folgendes mitteilen:

Reaktion der Bundesregierung zur religiösen Beschneidung

Reaktion der Bundesregierung zur religiösen Beschneidung

„Beschneidungen von Jungen sollen weiter straffrei sein. BReg will Rechtsfrieden für jüdisches u. islamisches religiöses Leben in DEU.“

An dieser Stelle wäre es mal interessant zu erfahren, warum die Bundesregierung eines säkularen Landes gerade auf diese Weise den Rechtsfrieden für jüdisches und islamisches Leben in Deutschland will und warum dies so wichtig ist, daß dabei Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden sollen. Welchen Vorteil sieht die Regierung in der Förderung von Gruppen mit archaïschen Ideologien und Praktiken, die zur Ab- und Ausgrenzung neigen und die Menschenrechte als ein nachgeordnetes Rechtsgut auffassen? Das sieht mehr nach vorgezogenem Wahlkampf aus, um sich rechtzeitig die Stimmen von Migranten zu sichern, die man sonst lieber in die Wüste schicken würde.

Literatur:

  1. Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung. Maximilian Stehr, Holm Putzke, Hans-Georg Dietz. Dtsch. Arztebl. 2008; 105(34-35): A-1778 / B-1535 / C-1503 (PDF)
  2. Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge. Holm Putzke. In: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen 2008, S. 669–709 (PDF)
  3. Religiöse Beschneidung
  4. Progressive Rabbis On Creating A Jewish Covenant Without Circumcision
  5. Jews Against Circumcision/

1Soweit bekannt, fehlt es in Deutschland nicht an Waschgelegenheiten für sexuell aktive promiske männliche Säuglinge!

2Ein Bruch mit der Tradition kann bei Mädchen dann schon mal zum „Ehrenmord“ führen.

4 Kommentare

  1. Beschneidung von Untertanen in Cargo-Kulten

    Schwache Gemüter schalten den Ton aus; „starke“ Politiker, die auf eine rasche Legalisierung drängen,…

    http://www.welt.de/politik/deutschland/article108288113/Politiker-wollen-dass-Beschneidung-straffrei-bleibt.html

    …sollten den Ton anlassen:

    http://video.google.com/videoplay?docid=8212662920114237112

    Seine Jünger sagten zu ihm: „Nützt die Beschneidung oder nicht?“ Er sagte zu ihnen: „Wenn sie nützlich wäre, würde ihr Vater sie aus ihrer Mutter beschnitten zeugen. Aber die wahre Beschneidung im Geiste hat vollen Nutzen gefunden.“

    (Nag Hammadi Library / Thomas-Evangelium / Logion 53)

    Solange das Wissen noch nicht zur Verfügung stand, um das Geld an den Menschen anzupassen, musste der Kulturmensch durch eine künstliche Programmierung des kollektiv Unbewussten (geistige Beschneidung von Untertanen) an ein darum bis heute fehlerhaftes Geld angepasst werden. Das war (und ist noch) der einzige Zweck der Religion, die vom Wahnsinn mit Methode zum Wahnsinn ohne Methode (Cargo-Kult um die Heilige Schrift) mutierte und uns – unabhängig von „Glaube“ (Cargo-Kult) oder „Unglaube“ (Ignoranz) – alle zu Untertanen machte, die ihr eigenes Programm nicht kennen. Die Bewusstwerdung der Programmierung nennt sich „Auferstehung“:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

  2. …sollten den Ton anlassen:
    http://video.google.com/videoplay?docid=8212662920114237112

    Das verlinkte Video zeigt die „High-Tech“-Variante, die gängige Praxis dürfte in den meisten Fällen wohl eher so https://www.youtube.com/watch?v=U9ycv6GsCNs (Becoming Muslim – Circumcision) ablaufen.

  3. F.F.H. FAKT sagt:

    Passendes Sinngedicht zum Artikel,
    siehe raubgewinn.de:

    Schnipp, schnapp

    Schnipp, schnapp,
    Gott schnippelt

    Vorhäute ab.

    Bislang fehlt ´s
    Am Beweise:

    Präputien sind
    Seine Vorzugsspeise.

    F.F.H. FAKT
    14. Juli 2012

  4. […] ziemlich genau einem Jahr hat der Deutsche Bundestag trotz langer und teils heftiger Diskussion alle Bedenken zum Jugendschutz über Bord geworfen und die Gentialverstümmelung an kleinen Jungen […]

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