Am 7. und 8 März fand in der Urania in Berlin die Veranstaltung „Science meets Homoeopathy in Berlin“ von und mit Dr. med. Irene Schlingensiepen statt. Im Rahmen des Vortrages „Homöopathie für Skeptiker“ versuchte sie in der Abendveranstaltung ihr Verständnis der Wirkungsweise von Homöopathie an den Mann zu bringen (und natürlich ihr gleichnahmiges Buch). Der Saal mit 121 Sitzplätzen war mit rd. 110 Besuchern (die meisten im fortgeschrittenen Alter), davon 37 Männer inkl. mir und dem Urania-Tontechniker, gut gefüllt.
Um die Wirkungsweise der Homöopathie zu erklären, wählte sie ein Schaubild mit dem Titel „Information kann den Träger wechseln ohne ihre Bedeutung zu verlieren“, welches einen Mann zeigt der sich einen Tisch gedanklich vorstellt, daraufhin von diesem eine Skizze auf Papier anfertigt und über eine Satellitenleitung an einen Tischler faxt, der dann den Tisch anfertigt. Ein wunderbar einfaches und eingängiges Bild — und genauso falsch!
Versuchen wir jetzt einmal, das Bild an die Realität der Homöopathie anzupassen. Zunächst wird in der Homöopathie davon ausgegangen, daß die eingesetzten Heilmittel deutlich wirksamer sind als die Urtinktur. Im Schaubild müsste hierfür der Kunde eine einfache Skizze entwerfen, bspw. vier senkrechte Striche für die Tischbeine und ein Rechteck für die Tischplatte, woraufhin der Tischler einen vollständigen Tisch mit gedrechselten Beinen herstellen würde. Als Zweites wird in der Homöopathie postuliert, daß die Informationsverstärkung durch fortgesetzte Verdünnung, in 10er, 100er oder noch größeren Schritten, einer Urtinktur erfolgt. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß die Verdünnungschritte 1:10 erfolgen. Für das Schaubild bedeutet dies, daß der Kunde die Skizze eines Tisches auf Papier erstellt, die Zeichnung in zehn gleiche Teile zerteilt, neun willkürlich ausgewählte Teile davon wegwirft und das verbleibende Teil zu einem vollständigen Bogen Papier ergänzt (1:10 ≡ 10¹). Das Fax tastet das Blatt Papier ab, verwirft neun von zehn Bytes der nun elektronisch vorliegenden Information und füllt das verbleibende Zehntel mit Nullen (≙ Lösemittel) auf die ursprüngliche Bytezahl auf (1:100 ≡ 10²). Der Satellit verhält sich analog und verwirft neun von zehn empfangenen Bytes, füllt mit Nullen auf und leitet dies weiter (1:1.000 ≡ 10³). Das Fax auf Empfängerseite erstellt nun den Ausdruck. Allerdings wiederum nur von einem beliebigen Zehntel aller empfangenen Bytes, die mit neun Teilen Nullen ergänzt wurden (1:10.000 ≡ 10⁴). An Hand des ihm nun vorliegenden Ausdruckes baut schließlich unser Tischler einen eckigen Eßtisch mit gedrechselten Beinen für acht Personen. Homöopathen arbeiten aber nicht nur mit Verdünnungen von 1:10.000 (10⁴), sondern mit vielfach höheren, geradezu absurden Verdünnungen wie 10³⁰, 10²⁰⁰, 10⁴⁰⁰ oder mehr.
Dies war die idealisierte Vorstellung, leider ist die Realität ein klein wenig komplizierter. Das Problem sind die Verunreinigungen. In der realen Welt gibt es keine reinen Substanzen, niemals. Alles enthält immer irgendwelche Verunreinigungen, wenn auch in sehr niedriger Konzentration und weit unterhalb der aktuellen Nachweisgrenze. Das bedeutet nun, daß es auch kein absolut reines Lösemittel zum Herstellen der homöopathischen Verdünnungen geben kann. Je höher also die von der Homöopathen angestrebte Verdünnung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine gleichartige Substanz wie die zu Verdünnende bereits im Lösemittel vorhanden ist. Ab einer bestimmten Verdünnungsstufe bleibt die Konzentration der Verunreinigungen konstant, da das immer wieder zugeführte Lösemittel diese mitbringt, wohingegen mit jedem Verdünnungsschritt der Anteil der ursprünglichen Substanz um den Faktor der Verdünnungsstufe — im Beispiel um den Faktor zehn — abnimmt, d.h. der Anteil der Ursprungssubstanz strebt unweigerlich gegen Null. Dennoch sollen nach der homöopathischen Lehre nur die Anteile der Urtinktur im Endprodukt — bei hohen Verdünnungen also Null — eine Wirkung im Körper entfalten.
Übertragen auf Schlingenspiens Schaubild müsste daher jeweils ein kleiner, aber konstanter Teil der Nullen durch Einsen, u.a. von anderen Tischskizzen, bei jedem Schritt ersetzt werden. Dennoch wüßte der Tischler am Ende genau, welche der wenigen noch verbliebenen schwarzen Punkte für ihn relevant sind und daß sie einen Tisch darstellen sollen. Die Homöopathie ist aber noch weitaus absurder, als es das Schaubild erahnen lässt. Bei den von Homöopathen verwendeten hohen (Schein)Verdünnungen wären keine „Einsen“ der Ursprungsskizze mehr vorhanden, sondern nur noch eine geringe Zahl „Fremdeinsen“ (≙ Verunreinigungen) und dennoch könnte der Tischler dem praktisch weißen Blatt Papier entnehmen, daß er einen bestimmten Tisch und keinen runden Tisch oder einen Nierentisch zu bauen hätte.
Bei dem Rest des, wie üblich bei Homöopathen von Anekdoten durchtränkten, Vortrages von Fr. Dr. Schlingensiepen hatte ich permanent den Eindruck, daß bei ihr beim Entfernen der Latten vom Zaun, die Tassen im Schrank zu Bruch gegangen sind.
Könnte es sein, nur mal so rein hypothetisch gefragt, daß Fr. Dr. Schlingensiepen Homöopathie selbst nicht verstanden hat und daher nicht weiß, was sie tut? Ich frage nur deshalb, weil die Frau darf Menschen, also richtig echte, lebende Menschen und nicht nur deren Avatare, behandeln. Aber wahrscheinlich mache ich mir vollkommen umsonst Sorgen, denn immerhin konnten sich die betreffenden Teilnehmer der gesamten Veranstaltung diese mit 10 Continuing Medical Education-Fortbildungspunkten (CME) von der Ärztekammer Berlin anrechnen lassen, wie mir die Ärztekammer bestätigt hat. Das muss einfach gut sein, denn dort werden auf Grund der hohen, hauseigenen Qualitätskontrolle ausschließlich hochwertige Zauberkurse angeboten.
[…] Gastredner auf der Abendveranstaltung „Homöopathie für Skeptiker“ am 7. März (siehe auch „Der homöopathische Tischler“) stellte Dr. Frass seine „Studienergebnisse“ zum Befinden von Krebspatienten mit und ohne […]
[…] Quatsch, wie der Feuerwächter-Blog in dem Beitrag “Der homöopathische Tischler” […]
Was soll man dazu sagen?
Da bleibt einem nur die Spucke weg.
Sich z.B. bei der Ärztekammer Berlin darüber beschweren, daß dieser Unsinn als Fortbildung anerkannt wird.
http://www.aerztekammer-berlin.de/50ueberUns/40_Wie_Sie_uns_erreichen/30_Hilfe/10_Impressum/index.html
…. oder konnte es sein, dass hier homöopatie nach schlingensiepen erklärt wurde? immerhin ist die berliner urania hier betrügern auf den leim gegangen, leider nicht das erste mal. schade, habe den vortrag verpasst.
@BSR
Mit der von ihr erfundenen „Quellenhomöopathie“ wählt sie einen anderen Weg der „Diagnose“, verwendet aber die gleichen homöopathischen Mittel. Wie dem auch sein, wirklich Sinnvolles gibt Schlingensiepen nicht von sich.
Einerseits möchte die Urania ihre Räume vermieten, andererseits handelt es sich um eine durch die Berliner Ärztekammer anerkannte Fortbildungsveranstaltung. Selbst wenn also wenig oder gar keine Ärzte an einer solchen Veranstaltung teilnehmen, profitieren die Quacksalber mit ihrer Bauernfängerei durch den Werbeeffekt.
Na klasse *gg* Also nach dem Fax-Vergleich gehe ich davon aus, dass Frau Schlingensiepen den Elektromagnetismus und die Elektrizität an sich für geistartige Kräfte hält. Oder irre ich mich da ? Vielleicht habe ich die Analogie bloß nicht richtig verstanden *gg
Vielleicht trifft dies aus ihrer Sicht auch zu: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ (Arthur C. Clarke). Dann allerdings sollte man ihr nicht die Behandlung von Menschen des 21. Jhrd. anvertrauen.
@Feuerwächter
Das hat Michael Schmidt-Salomon auch vortrefflich zum Ausdruck gebracht…
„Wir leben in einer Zeit der Ungleichzeitigkeit. Während wir technologisch im 21. Jahrhundert stehen, seien unsere Weltanschauungen noch von Jahrtausende alten Mythen geprägt. Dieses Nebeneinander von höchstem technischen Know-how und naivstem Kinderglauben könnte fatale Konsequenzen haben. Wir verhalten uns wie Fünfjährige, denen die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen wurde.“
@nihil jie
Recht hat er.