Meine Vorhaut gehört mir!

Inzwischen nimmt die Diskussion um das Kölner Beschneidungsurteil Fahrt auf und die Begründungen warum Beschneidungen aus religiösen Motiven erlaubt sein sollten, werden immer absurder. So auch in dem Kommentar „Vom richtigen Umgang mit Recht“ von Heribert Prantl auf Süddeutsche.DE.

Erst die Einwilligung des Patienten rechtfertigt die Verletzung, erst sie macht den Arzt straflos. Und wenn der Patient ein Kind ist, entscheiden die Eltern. So war und ist es Recht, Sorgerecht nennt man das.
[…]
Die Regeln, die im jüdischen und im muslimischen Glauben die Beschneidung vorschreiben oder nahelegen, widersprächen dem Kindeswohl. Der Staat als dessen Wächter müsse eingreifen und der Körperverletzung die Rechtfertigung versagen.

Kurz, bündig und für jeden verständlich formuliert. Eigentlich bräuchte es keiner weiteren Diskussion mehr.

So hat es das Gericht in einer sehr klinischen Entscheidung getan; bei der Feststellung dessen, was Rechtskultur und Kindeswohl verlangen, hat es sich einer multikulturellen Betrachtungsweise verweigert.

Mit dieser Art der Betrachtung öffnet Hr. Prantl eine Büchse der Pandora. Zunächst ist es die einzige Aufgabe eines Gerichtes auf Grundlage der geltenden Gesetzte Recht zu sprechen und vor diesen Gesetzen sind alle Menschen gleich. Eine multikulturelle Betrachtungsweise in die Rechtssprechung einzuführen, würde bedeuten, daß Menschen je nach ihrer ethnischen Herkunft oder Weltanschauung ein unterschiedliches Strafmaß zu erwarten hätten, was aber wiederum dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen würde. Wohin eine multikulturelle Betrachtungsweise führt, konnten wir bereits 2007 erleben, als eine deutsche Richterin einer, unter den Schlägen ihres marokkanischen Ehemannes leidenden Deutsch-Marokkanerin mit einem Verweis auf den Koran, der die körperliche Züchtigung von Ehefrauen ausdrücklich gestattet — wie die Bibel auch — die schnelle Scheidung versagte. Nicht auszudenken, wenn sich diese Sichtweise auch bei „Ehrenmorden“ durchsetzten würde. Die geforderte „multikulturelle Betrachtungsweise“ ist nichts weiter als ein antiaufklärerischer Rückschritt in längst vergangen geglaubte Zeiten.

Manche Urteilsbefürworter rücken die Beschneidung der Jungen gar in die Nähe der Genitalverstümmelung von Mädchen; das ist objektiv falsch.

Dies ist ein Scheinargument, denn (großes) Unrecht an dem Einem kann nicht zur Rechtfertigung von (kleinerem) Unrecht an einem Anderen dienen. Unrecht bleibt Unrecht, unabhängig von der Quantität. In diesem Zusammenhang ist es auch hilfreich zu wissen, daß Klitoris und Penis mit ihren jeweiligen Vorhäuten auf der gleichen entwicklungsphysiologischen Quelle beruhen, die Ähnlichkeiten in der Anatomie, von der Größe abgesehen, sind nicht rein zufällig. Somit ist ein Vergleich durchaus gerechtfertigt, denn in beiden Fällen wird nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit massiv missachtet, sondern eine medizinisch nicht indizierte Teilamputation gesunder Geschlechtsorgane vorgenommen, welche die sexuelle Empfindungsfähigkeit negativ beeinflusst. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß der Eingriff bei Mädchen zweifelsfrei wesentlich drastischer ausfällt, so daß eine ausgefüllte Sexualität überhaupt nicht mehr möglich ist. Ein ähnlich brutales Vorgehen (Kastration) bei männlichen Kindern wie bei den Mädchen, würde zum Totalverlust der Reproduktionsfähigkeit des Mannes führen, was wiederum auch nicht im Sinne der Religion wäre.

Strafrecht wird so zum Instrument kultureller Bekehrung.

Dies trifft auf alle Eingriffe in die Religionsfreiheit zu. Hier müßte er erklären warum das Verbot der Beschneidung an männlichen Kindern eine kulturelle Bekehrung darstellt, hingegen das Verbot von Mädchenbeschneidungen oder körperlicher Züchtigung von Ehefrauen nicht. Abgesehen davon ist Bekehrung im vorliegenden Falle der falsche Ausdruck. Im Gegenteil, die Beschneidung im Säuglingsalter ist eine manifestierte Zwangsbekehrung. Durch das Verbot wird dem Kind erst die Möglichkeit eröffnet sich bewusst zu diesem Schritt zu entscheiden.

Auch Eltern, die (wie in den USA gang und gäbe) ihre Söhne aus hygienischen Gründen beschneiden lassen, werden zu Straftätern gemacht.

Das Beispiel der USA taugt nicht sonderlich um seine Aussage zu untermauern. Die Beschneidung in den USA hat ganz eindeutig ihre Wurzeln in der christlichen Lustfeindlichkeit, die eine Selbstbefriedigung verhindern oder zumindest massiv erschweren sollte, d.h. die Befürworter wissen ganz genau, daß die Beschneidung das sexuelle Empfinden des Mannes stört. Die hygienischen Gründe kamen erst später hinzu, als sich die Ärzteschaft begann kritisch gegenüber der Beschneidung zu äußern.

Eine Rechtfertigung der Beschneidung per Gesetz ist keine gefühllose Bagatellisierung einer Körperverletzung

Doch genau dies ist es, denn das Kindeswohl wird hinter religiöse Traditionen zurückgestellt.

Recht schneidet die Gesellschaft nicht auseinander;

Dieser Aufgabe wird es aber nur dann gerecht, wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Bei der von Prantl geforderten „multikulturellen Betrachtungsweise“ leistet es aber der Seggregation Vorschub, da jede religiöse Gruppierung von nun an, für sie spezifische Sonderrechte einfordern kann und wird.

Und die Verfassung achtet die Religionen und ihre Riten.

Aber nur in den Grenzen, die durch das Grundgesetz und die Menschenrechte abgesteckt sind.

Selbstredend gibt es Grenzen: Wenn die Würde des Menschen verletzt wird, wenn eine angeblich göttliche Leitkultur die Grundrechte negiert – dann sind die Grenzen überschritten.

Genau diese Grundrechte des Kindes werden bei der Beschneidung negiert. Zunächst das schon mehrfach angesprochene Recht auf körperliche Unversehrtheit und darüberhinaus die Religionsfreiheit des Kindes. Von den Befürwortern wird gerne übersehen, daß man Grundrechte zunächst nur für sich selber einfordern kann, jedoch nicht auf Kosten Dritter. Bei nicht-einwilligungsfähigen Personen muß in letzter Instanz der Staat auf die Einhaltung der für jedermann unveräußerlichen Grundrechte achten.
Außerdem wäre es interessant zu wissen wie Hr. Prantl Menschenwürde definiert. Anscheinend verletzt es nicht die Würde des Menschen, wenn man einem Mann ohne medizinische Notwendigkeit die sexuelle Erlebnisfähigkeit beschneidet, bei einer Frau aber sehr wohl.

Aber die Beschneidung ist nicht der Einstieg in die Scharia, nicht Symbol für die Negation der Rechtsordnung, sie ist vielen nur befremdlich fremd.

Wieviel Scharia soll bei einer „multikulturellen Betrachtungsweise“ erlaubt sein, es handelt sich dabei doch auch um eine religiöse Tradition? Einige Forderungen stehen schon längst in der Warteschlange. So hat Herr Ratzinger in seiner Funktion als Papst Benedikt XVI bei seiner Neujahrsansprache 2011 den Sexualkundeunterricht in den Schulen als Eingriff in die Religionsfreiheit angeprangert.

Angriff auf die religiöse Freiheit der Familien, wo die Teilnahme an Kursen der Sexualerziehung oder Bürgerkunde verpflichtend auf­erlegt wird, bei denen ein angeblich neutrales Bild des Menschen und des Lebens vermittelt wird, das aber in Wirklichkeit eine dem Glauben und der rechten Vernunft gegensätzliche Anthropologie wiederspiegelt

Moslems sehen dies und den Schwimmunterricht in derselben Weise. Soll also der säkulare Staat tatsächlich seine Grundlagen zu Gunsten einer „multikulturellen Betrachtungsweise“ über Bord werfen? Wo soll in Zukunft die Grenze gezogen werden? Offensichtlich soll sie zwischen verbotener Mädchenbeschneidung und erlaubter Knabenbeschneidung liegen. Doch wie wäre dies im konkreten Einzelfall zu handhaben? Wie wollen wir es in Zukunft mit dem „Brustbügeln“ („breast ironing“) halten? Oder der netten Sitte der rituellen Subinzision, einer kompletten Spaltung der Harnröhre auf der Penisunterseite, einiger Aborigines, die auch luststeigernd wirken soll? Das körperliche Züchtigen von Kindern, auch durch Ohrfeigen, wurde nach uralter religiöser Tradition vor nicht allzu langer Zeit verboten. Zu welchem Ergebnis käme hier eine „multikulturelle Betrachtungsweise“?

Das ganze Gedankengebäude welches von Politik und Presse zur Rettung Knabenbeschneidung konstruiert wird, ist voll von nicht auflösbaren Widersprüchen. Piercings (Ausnahme: Ohrlochstechen) und Tätowierungen sind auch für unter 16jährige selbst mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten verboten, ein Verbot von Schönheitsoperationen an Minderjährigen wird von den Regierungsparteien C[DS]U diskutiert, aber gleichzeitig soll die rituelle Beschneidung durch eine Sonderregelung erlaubt werden? Es ist erstaunlich wie tief die religiöse Indoktrination (alte religiöse Tradition = gut) auch bei Menschen sitzt, die es besser wissen müssten und Denkblockaden erzeugt.

Wie hoch übrigens der BGH das Recht auf körperliche Unversehrtheit einschätzt zeigt ein aktuelles Urteil welches die Zwangsbehandlung psychisch Kranker als rechtswidrig einstuft:

Psychisch Kranke, die unter der Vormundschaft eines gerichtlich bestellten Betreuers stehen, dürfen vorerst nicht gegen ihren Willen ärztlich behandelt werden.

Eine schnelle Regelung zur Erlaubnis der Beschneidung durch die Politik, die vom BGH nicht umgehend wieder gekippt werden würde, dürfte es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben. Zumal es sich bei der Beschneidung noch nicht einmal um eine notwendige Therapie zur Wiederherstellung der Gesundheit handelt, sondern um die Herbeiführung einer Funktionsstörung an einem gesunden Organismus, allein begründet durch den Glauben der Vormünder an vermeindliche Anordnungen eines Fabelwesens. Berechtigterweise kann man durchaus die Frage aufwerfen, ob nicht tatsächlich die Vormünder behandlungsbedürftig sind.

Muslime und Juden dürfen aber auch von ihren Kritikern ein Nachdenken darüber verlangen, warum die Kritik einen so aggressiv-selbstgerechten Ton anschlägt.

Das das Urteil bei den Säkularen auf Zustimmung und bei den Religiösen auf Ablehnung stoßen würde, war nicht anders zu erwarten, aber die aggressiven Töne kamen zunächst aus der religiösen Ecke, insbesondere von denen die sonst bei jedem Vergleich mit dem Holocaust, dem Unvergleichlichen, laut protestieren. So bezeichnete der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, das Urteil als „Schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust“. Der Rabiner Yitshak Ehrenberg von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz schaffte es in der Talkshow „Anne Will“ sogar noch das Schächtungsverbot für Tiere unter den Nationalsozialisten mit in die Diskussion um das Beschneidungsverbot einzuwerfen (74 min Video). Auch sein nach Anne Will „schöner Schlusssatz“ „Wir machen weiter!“ lässt nicht gerade auf Einsichtsfähigkeit schließen.

Die Presseerklärung vom 26.06.2012 des Zentralrates der Juden in Deutschland zum Thema ist nicht weniger zynisch, wenn sie behauptet:

Man kann die Beschneidung auf einen späteren Termin verschieben, wenn es dafür triftige, z.B. gesundheitliche Gründe gibt.

Na wie schön, man kann also warten bis das Kind wieder gesund ist, um dann bei voller Gesundheit eine Verstümmelung durchführen zu können.

Vermutlich wird die Diskussion noch an Schärfe gewinnen, da sich nach den Vorreitern Guido Westerwelle, Volker Beck und Claudia Roth jetzt auch noch Angela Merkel mit ihrer saudämlichen Meinung

… sie wolle nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt sei, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben könnten. „Wir machen uns ja sonst zur Komiker-Nation“ …

eingeschaltet hat und sich zum Büttel einer sehr kleinen Minderheit¹, immerhin gibt es 20 Mal mehr Moslems als Juden in Deutschland, macht. Über kurz oder lang wird das Beschneidungsverbot kommen. Das Urteil ist auf diesem Wege nur ein konsequenter Schritt in die richtige Richtung. In den skandinavischen Ländern läuft die Diskussion schon seit Längerem, in Schweden wurde ein Verbot nur durch massive Intervention jüdischer Lobbygruppen verhindert. Auch wird die Notwendigkeit der Beschneidung sowohl bei aufgeklärten Juden, als auch bei intellektuellen Moslems thematisiert. Frau Merkel macht sich hier durch ihre proklamierte Gegenaufklärung gerade selber zur Komikerin.

Videos:

  1. http://video.google.com/videoplay?docid=8212662920114237112
  2. https://www.youtube.com/watch?v=U9ycv6GsCNs (Becoming Muslim – Circumcision

Literatur:

  1. Urteil Landgericht Köln vom 07.05.2012 Az. 151 Ns 169/11 (Volltext)
  2. Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung. Maximilian Stehr, Holm Putzke, Hans-Georg Dietz. Dtsch. Arztebl. 2008; 105(34-35): A-1778 / B-1535 / C-1503 (PDF)
  3. Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge. Holm Putzke. In: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen 2008, S. 669–709 (PDF)
  4. Religiöse Beschneidung
  5. Progressive Rabbis On Creating A Jewish Covenant Without Circumcision
  6. Jews Against Circumcision
  7. Übersichtsartikel: „Scharfe Klingen – Stumpfe Logik“, Matthias Krause
  8. Petition zum Schutz der Kinder vor Beschneidungen

Nachtrag 05.08.2012:
Äußerst empfehlenswert ist die „Petition gegen Legalisierung von Beschneidungen“ mit einer wirklich ausführlichen Begründung unter Berücksichtigung kultureller Gegebenheiten.

Nachtrag 20.08.2012:
Eine auf neun Punkte zusammengefasste Abhandlung gegen die Beschneidung: „Dr. Dr. Joachim Kahl zum Beschneidungsurteil“


1Es gibt rund 200.000 Juden Deutschland, d.h. <0,25% der Gesamtbevölkerung. Bei den Moslems liegt die Sachlage komplizierter. Leider haben wir die Angewohnheit jeden orientalischen Migranten als Moslem einzustufen. Nach dieser Lesart hätten wir rd. 4 Millionen Moslems in Deutschland (<5% Anteil an der Gesamtbevölkerung). Im alltäglichen Leben verhält sich aber ein großer Teil der Migranten nicht gerade sonderlich tiefgläubig. (Quelle der Zahlen: REMED)

10 Kommentare

  1. Nic sagt:

    Hi mein Freund,
    kann ich Deinen Artikel hier wieder bei mir übernehmen?

    Noch der Hinweis auf die Stellungnahme der GBS: http://gbs-berlin.org/kinderrechte-sind-keine-bagatelle/

    CU Nic

  2. Meine Vorhaut gehört mir!…

    Die Diskussion um das Verbot der ritu­el­len Beschneidung gewinnt an Schärfe, die Rechtfertigungsversuche von Presse und Politik wer­den immer absur­der und die Politik kuscht vor einer reli­giö­sen Minderheit unter Aufgabe säku­la­rer Prinzipien. Inzw…

  3. […] Feuerwächter Inzwischen nimmt die Diskussion um das Kölner Beschneidungsurteil fahrt auf und die Begründungen warum Beschneidungen aus reli­giö­sen Motiven erlaubt sein soll­ten, wer­den immer… […]

  4. […] formuliert, aber kaum war das Papier raus fing die Debatte um die religiös motivierte Knabenbeschneidung an, bei dem sich die Grünen (hier, hier) klar zu der Ausübung alter religiöser Traditionen […]

  5. […] wird die Begründung im Hinblick auf die derzeit laufende Beschneidungsdebatte, deren Auslöser ebenfalls ein Urteil war, welches die körperliche Unversehrtheit von männlichen […]

  6. […] kommt wie es bereits von vielen Gegnern der Knabenbeschneidung befürchtet, so auch hier und hier, wurde: Der Ruf nach Legalisierung der Mädchenbeschneidung! In einer Veröffentlichung […]

  7. […] aber inhaltlich liegt er in der teilweise sehr emotional geführten Debatte nicht daneben. Während die muslimischen Verbände zurückhaltend reagierten, […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert