Ein Kongressbericht zum Internationalen Kongress Gendermedizin – Junior trifft Senior vom 22.-23. Sept. 2015 des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) von der Charité unter Leitung von Fr. Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek in Berlin (Nicht zu verwechseln mit dem im November in Nürnberg stattfindenden Genderkongress).
Wirklich brandneue Forschungsergebnisse wurden nicht präsentiert, die Ergebnisse waren teilweise schon vor Jahren publiziert worden — in den Vorträgen wurde auf Veröffentlichungen zurück bis mind. 2006 verwiesen — und sollten den jeweiligen Arbeistrgruppen bekannt sein. Dennoch waren die Präsentationen unter einem anderen Gesichtspunkt interessant, da erst in ihrer Konzentration deutlich wird, daß biologisch-medizinische Forschung kontinuierlich gleichartige Ergebnisse auf unterschiedlichen Gebieten liefert.
Biologisches Geschlecht: Real oder sozial konstruiert?
Überaus deutlich wurde, daß alle Forschungsergebnisse, die getrennt nach Männern und Frauen aufgeschlüsselt werden, eklatante und teilweise bisher wenig beachtete, wenn nicht sogar sträflich vernachlässtigte Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufzeigen. In der Epidemiologie ist die fehlende Differenzierung besonders ausgeprägt gewesen, denn klassischerweise wurde hier immer zuerst nach Altersgruppen und nicht nach biologischem Geschlecht aufgeschlüsselt, Männer und Frauen also in einen Topf geworfen. Diese Vorgehensweise kann aber sehr schnell relevante Unterschiede verdecken. Wenn bspw. die Inzidenz (Häufigkeit neuer Ereignisse in einer Population) einer Erkrankung bei Männern und Frauen gleich ist, sie aber in unterschiedlichen Lebensaltern zu Tage tritt, bleibt dies in einer geschlechtsunabhängigen, nach Alter aufgeschlüsselten Datenanalyse unsichtbar, obwohl genau an dieser Stelle die Ursachenforschung ansetzen müsste, um zu klären, warum die Geschlechter in unterschiedlichen Lebensaltern betroffen sind.
Auch in der Pharmakologie wird den biologischen Geschlechtern bisher nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Bspw. reagieren Männer anders auf bestimmte Psychopharmaka als Frauen, sowohl was die Hauptwirkung, als auch was die unerwünschten Nebenwirkungen angeht. Die betrifft jedoch nicht nur die angesprochenen Psychopharmaka, sondern auch eine Reihe anderer Pharmazeutika. Bei vielen ist die geschlechtsspezifische Wirkweise noch gar nicht hinreichend untersucht worden.
Quer durch alle Fachgebiete, ob Herz- und Gefäßerkrangungen, Onkologie, Endokrinologie, Geriatrie, Neurologie, Pharmakologie gibt es bis hinunter auf die molekulare Ebene deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei nicht rein geschlechtsspezifischen Erkrankungen¹.
Der gesamte Kongress war eine hundertfache Widerlegung der aus soziologischen Kreisen stammenden, unbelegten Behauptung des Genderismus mit seinen Gender Studies, daß das Geschlecht nicht angeboren, sondern „sozial konstruiert“ sei. Aus wissenschaftlicher Sicht ist nicht eine Nivellierung der Geschlechter, sondern eine weitaus stärkere Differenzierung nach Geschlechtern notwendig, um adäquate Behandlungsstrategien entwickeln zu können.
Gibt es eine Geschlechterbenachteiligung?
Betrachtet man nur die gesundheitspolitischen Maßnahmen ist die Frage eindeutig mit Ja zu beantworten, es sind die Männer! Es ist nicht übertrieben festzustellen, daß Männer in weiten Teilen gesundheitspolitischer Maßnahmen schlicht und ergreifend unsichtbar sind. Richtig fest zementiert wurde dieser Zustand spätestens² mit der „Beijing Platform for Action“ der UN, seit der der ursprünglich beide Geschlechter umfassende³ Begriff Gender Mainstreaming als reine Frauen(förder)politik installiert wurde, was bis heute nicht nur in den gesundheitspolitischen Fragen anhält. Alan White von der Leeds Beckett University fasste die Situation der Männer dann auch recht treffend zusammen:
- Wenig Druck von Männern
- Geringes politisches Interesse an Männergesundheit
- Geringes Medieninteresse am Thema
- Keine Erwähnungen in medizinischen Texten oder in Ausbildungscurricula
- Selbst die Maskunlinitätstheorien haben andere Schwerpunkte
Wie gemacht um genau diese Unsichtbarkeit von Männern zu bestätigen folgte auf den Vortrag von White (zufällig) ein zwar durchaus neutral gehaltener Vortrag zu dem Thema der politischen Akzeptanz von Gendermedizin von Dr. Martina Klöpfer (Pro Quote Medizin), aber auf allen Dias prangte ein Logo mit der Aufschrift „Female Resources in Healthcare“.
Gender, Sex, Geschlecht: Sprachverwirrung
Nicht Thema des Kongresses, aber mein Eindruck nach der Teilnahme betrifft die Verwendung der Begriffe Gender, Sex und Geschlecht.
Der engl. Begriff Sex, abgeleitet vom lat. secus bzw. sexus, beschreibt das biologische Geschlecht bei zweigeschlechtlichen Arten, worunter auch der Mensch fällt.
Der engl. Begriff Gender, abgeleitet vom lateinischen generare (abstammen), erfuhr mit Aufkommen der breiten feministischen Bewegung eine Erweiterung, weg vom Fachbegriff zur Beschreibung des „Geschlechts“ (Genus) von Substantiven, hin zu einem Begriff zur soziologischen Beschreibung von Gesellschaften, eben den Rollen die Männer und Frauen in der Gesellschaft belegen. Die Schaffung eines neues Begriffs war notwendig geworden, da das engl. Sex, also biologisches Geschlecht, keine hinreichende Beschreibung zum Verhalten von Männern und Frauen in der Gesellschaft bot. Es lässt sich nicht bestreiten, daß es eine Reihe von Gesellschaften gab und immer noch gibt, die Männern und Frauen feste Zuschreibungen bzgl. ihrer (erlaubten) Verhaltensweisen machen. Umgehrt heißt dies jedoch nicht, daß alle Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen gesellschaftlich aufoktroyiert sind, wie dies von Protagonisten des Genderismus vehement behauptet wird.
Die Unterschiede der Begriffe sind, auch wenn es in konkreten Situationen Überschneidungen gibt, leicht verständlich und nachvollziehbar. In den wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema gibt es jedoch ein buntes Durcheinander, bis hin zur Verwendung als Synonyme. Besonders ausgeprägt scheint mir das Durcheinander bei den englischen Veröffentlichungen deutschsprachiger Wissenschaftler zu sein. Als Ursachen sehe ich vier wesentliche Punkte:
- Man hat sich nicht mit dem Unterschied befasst und folgt der Mode
- Der Unterschied wurde nicht verstanden
- Man versucht sich elegant auszudrücken
- Manipulationsversuch; Die Auflösung der Unterschiede erfolgt bewusst, zur Erreichung eines Zieles,
Für den Genderismus mit seinem ausgeprägten Hang zur Negierung der Existenz des biologischen Geschlechts ist der Unterschied zwischen Sex und Gender hinfällig und in politichen Diskussionen sogar hinderlich. Der Genderismus profitiert von der fehlenden klaren Trennung der Begriffe mit denen er hantiert. So wie auch gerne Gleichberechtigung mit Gleichstellung gleichgesetzt wird, obwohl sie gegenteiliges beschreiben. Jedoch kann man den letzten Punkt für fast alle Vorträge auf dem Kongress sicher ausschließen, da die Vortragenden aus dem naturwissenschaftlichen Bereich nicht zum Genderismus neigten. Am wahrscheinlichsten halte ich das Nachfolgen einer Modeerscheinung (wo liest man nicht was von Gender?) und der Annahme, daß der Begriff Gender eleganter und weniger aufdringlich als Sex ist. Eine kleine Probe aufs Exempel. Welche fiktive Formulierung klingt in deutschen Ohren besser, sieht besser aus?
oder
„Sex-specific differences in gene expression.“
Meine Vermutung ist eben, daß der erste Satz wissenschaftlicher, neutraler klingt, obwohl er inhaltlich schlicht falsch ist. Demenstprechend war
genaugenommen der Genderkongress auch kein Genderkongress, sondern ein Geschlechter- oder gar Sexkongress, aber bei Letzterem kommt einem dann doch wirklich etwas Anderes in den Sinn.
Hier würde ich mir deutlich mehr Aufmerksamkeit und Präzsion von der Wissenschaftsgemeinde wünschen. Denn Sex und Gender beschreiben zwei grundsätzlich verschiedene Sachverhalte und sind eben keine austauschbaren Synonyme.
Gar kein Genderismus?
Ganz ohne Thesen des Genderismus kam auch dieser Kongress nicht aus, aber es war die absolute Ausnahme und betraf im Wesentlichen eine als Diskussion ausgewiesene Veranstaltung, in der aber fast nur fünf Kurzvorträge gehalten wurden, während der Mittagspause mit den schon bekannten Thesen, daß eine Frauenquote in der Medizin dringend erforderlich sei und gemischt-geschlechtliche Teams bessere Arbeitsergebnisse liefern. Auffallend war, mit einer Ausnahme, das wilde Durcheinanderwürfeln von der Forderung nach mehr gendermedizinischer Forschung und einem höheren Frauenanteil in Forschungsgruppen. Nur eine Vortragende wies explizit daraufhin, daß ein Mehr an Frauen in Forschungsgruppen („gender balanced team“) etwas vollkommen anderes ist, als genderorientierte Forschung („gender dimension in research“), aber sprachliche Präzision und klare Definitionen waren noch nie die Stärke von Feministinnen.
Amüsant finde ich bei feministischen Veranstaltungen immer, daß bei technischen Problemen immer ein Mann als helfende Hand gerufen wird. Die Damen kommen mit den Vortragsdias auf USB-Sticks zum Termin finden dann aber nicht im Dateibaum des Explorers das Wechsellaufwerk mit ihrer Datei. Besonders albern wird es, wenn hinterher ein Vortrag folgt, der der These, daß Frauen alles besser könnten und daher unbedingt eine Frauenquote erforderlich sei, folgt. Mich beschleicht bei sochen Vorfällen (bei Männern übrigens auch) immer das Gefühl. daß die ihre Vorträge nicht selbst geschrieben haben, sondern haben schreiben lassen.
1 Unter geschlechtsspezifischen Erkrankungen versteht man Solche, die von vornherein nur ein Geschlecht bekommen kann, wie bspw. Hodenkrebs bei Männern und Gebärmutterkrebs oder Kindbettfieber bei Frauen. Nebenbeibemerkt wäre diese Art Erkrankungen ebenfalls ein nicht zu erklärendes Paradoxon, wenn die Behauptung des Genderismus das Geschlecht sei sozial konstruiert stimmen würde. Solche Erkrankungsformen dürfte es unter dieser Prämisse gar nicht geben.
2Bereits 2002 hieß die zuständige Stelle bei der UN „Office of the Special Adviser on Gender Issues and Advancement of Women“. Männer blieben außen vor.
3 Denfinition von Gender Mainstreaming nach ECOSOC in 1997/2:
[…] the process of assessing the implications for women and men of any planned action, including legislation, policies or programmes, in all areas
and at all levels. It is a strategy for making women’s as well as men’s con-
cerns and experiences an integral dimension of the design, implementation,
monitoring and evaluation of policies and programmes in all political, eco-
nomic and societal spheres so that women and men benefit equally and ine-
quality is not perpetuated. The ultimate goal is to achieve gender equality.