Nachdem nun die angeblich finale Version (de, en) von ACTA veröffentlicht wurde, läßt das Justizministerium verlauten, daß bei Unterzeichnung des Abkommens keine Gesetzesänderungen in Deutschland notwendig seien. Gleiches vermeldet das schweizer Justizministerium. Die Österreicher haben erstmal unterzeichnet und prüfen jetzt erst, ob Gesetzesänderungen notwendig sind. Merkwürdiges Verfahren. Auch von Vertretern der EU wird einhellig versichert, daß im EU-Raum keine Gesetzesänderungen notwendig seien. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Energie in Geheimverhandlungen ein Abkommen in und mit der EU verhandelt wird, welches gar keine Gesetzesänderungen erforderlich macht. Wäre dem tatsächlich so, wäre dies wegen Verschwendung von Steuergeldern ein Fall für den Rechnungshof.
Auch wenn Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirklich nicht im Verdacht steht fortschrittsfeindlich zu sein oder Freiheitsrechte leichtfertig auf’s Spiel zu setzen, erscheint diese Aussage aus dem Justizministerium doch naïv, wenn auch nicht falsch. Das die CDU für ACTA eintritt ist nicht verwunderlich, wenn man sie ließe würde sie noch ganz andere Sachen einführen. Aber selbst unter der Prämisse, das die Aussage es seien keine Gesetzesänderungen notwendig zutrifft, gibt es durchaus Gründe die gegen ACTA sprechen.
Ganz zu vorderst sind als Grund für die Ablehnung, die schon oft genannten Geheimverhandlungen zu nennen. Es ist an der Zeit endlich ein Zeichen gegen diese zutiefst undemokratische, intransparente Art feudaler Politik zu setzen. Die nächsten internationalen Verhandlungen kommen mit Sicherheit und weil es bei ACTA so gut geklappt hat, würden diese auch wieder in Geheimverhandlungen ausgehandelt werden. Da auch zu ACTA nicht alle Dokumente frei zugänglich sind, weiß niemand, welche informellen Nebenabreden für ein weiteres Vorgehen getroffen wurden. Die Formulierungen im jetzigen ACTA-Text sprechen an vielen Stellen von „kann“, da es aber eigentlich unsinnig ist, ein „kann“-Abkommen zu vereinbaren, da jeder Staat sowieso „kann“, muß man davon ausgehen, das an diesen Stellen ursprünglich ein „muss“ stand. Somit dient ACTA der Formung des Geistes und bereitet den Weg vom „kann“ zum „muss“ im nächsten Abkommen vor. Die rein formal-juristische Denkweise des Ministeriums mag richtig sein, greift aber zu kurz, da das eigentliche Ziel von ACTA außer acht bleibt.
Da es sich um ein internationales Abkommen handelt, ist also nicht allein entscheidend, welche Änderungen bei uns erforderlich sind. Mit der Unterzeichnung des Abkommens stellen wir klar, daß wir ACTA in anderen Ländern Gültigkeit verschafft sehen wollen.
Bei allen Regelungen sollte man sich an die Maxime halten „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Internationale Abkommen sind ein eher undemokratisches Verfahren. Eine neu gewählte Regierung kann diese, im Gegensatz zu lokalen Gesetzen, nicht einfach ändern oder kündigen, wie im Wiener Übereinkommen vom 23.05.1969 über das Recht der Verträge, Art. 27 völkerrechtlich verbindlich vereinbart wurde:
Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen. Diese Bestimmung lässt Artikel 46 unberührt.
Jedes internationale Abkommen geht unweigerlich mit der Einengung des Handlungsspielraumes einer zukünftigen Regierung einher. Es muß also auch generell darum gehen, so wenig wie möglich internationale Abkommen zu schließen, wenn sie nicht unbedingt notwendig sind. Warum sollten wir also ein Abkommen schließen, welches einerseits nicht erforderlich ist, andererseits aber politische Handlungsfreiheit aufgegeben wird?
Ein weiterer Punkt den das Justizministerium hier vernachlässigt, ist, daß ACTA nicht der Endpunkt, sondern nur ein Baustein aus einer Reihe viel weitergehender Forderungen ist. ACTA wird somit nur der kleinste gemeinsame Nenner sein und als Grundlage für weitergehende Maßnahmen dienen, die sich bereits jetzt abzeichnen (PIPA, SOPA). Derzeit mögen durch ACTA keine Internetsperren oder Zugangsperren vorgeschrieben sein, aber genau dies wird der nächste Verhandlungspunkt sein und zwar nicht unbedingt als komplett neues Abkommen, sondern als „kleine“ Ergänzung. Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Forderung nach strafrechtlichen Konsequenzen für das Raubkopieren von Kinofilmen. Noch ist es den Unterzeichnerstaaten freigestellt („können“) strafrechtliche Konsequenzen einzuführen, aber einige Staaten wollen bereits jetzt an dieser Stelle ein „müssen“ geschrieben stehen. Eine winzige Änderung, aber mit gewaltigen Konsequenzen für die Ländergesetzgebung. Die CDU kämpft bereits jetzt für eine Ausweitung:
Dennoch ist ACTA nur die zweitbeste Lösung. Ziel muss ein weltweites Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO bleiben.
Ist ACTA erst unter Dach und Fach, wird es nicht lange dauern, bis die Verhandlungen zu ACTA II — oder wie auch immer es dann genannt werden wird — beginnen. Ansatzpunkt werden die „kann“-Regelungen in ACTA sein, welche zu „muss“-Regelungen evolvieren werden.
Mit dieser Art Abkommen (auch wenn sich ACTA nicht nur auf das „Internet“ bezieht, sondern ein Handelsabkommen im Bereich Marken- und Urheberrecht im Allgemeinen ist) wird eben nicht nur versucht, alten Modellen das Überleben zu garantieren („Heizer auf der Elektrolok“), sondern es wird massiv daran gearbeitet eine Fortentwicklung zu verhindern („Man braucht keine Elektroloks, denn es gibt ja Heizer“). Das Internet wird als Feindbild in einem rechtspolitischen Papier festgeschrieben. Genau dies gilt es zu verhindern. ACTA ist nur das Heißlaufen in einem aus der Kontrolle geratenen System, die Kür kommt erst noch.
Nachtrag 09.02.2012:
Ein schönes Beispiel, daß es bei dem Abkommen nicht mit rechten Dingen zugeht lieferte die EU gerade selbst. Mit Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz wurden von Netzpolitik die Zusatzprotokolle zu ACTA mit dem Ergebnis angefordert, daß von einem siebenseitigen Dokument (A15212-Annex1¹) bis auf die Einleitung alle Seiten geschwärzt sind. Soviel zu der Behauptung, ACTA sei kein geheimes Abkommen.
- Petition an EU-Abgeordnete zur Nichtunterzeichnung von ACTA
ACTA: Die neue Gefahr fürs Netz - Stellungnahme von QSC zu ACTA
ACTA und die Providerhaftung
1Aus Scribd.com befreites Dokument, da sich Netzpolitik nicht in der Lage sieht, einen vernünftigen Download anzubieten.
[…] behauptet, nichts an der Rechtslage in Deutschland ändern würde, sollte es von Deutschland nicht unterzeichnet […]