„[…] soll dieses Buch zumindest ein Zwischenruf sein, ein unbedingtes Plädoyer gegen bedingungslose Transparenz in allen Bereichen menschlichen Lebens und für den Schutz der Privatsphäre.“
Nach Darlegung der Notwendigkeit von Privtsphäre macht die sich dran anschließende „Kurze Geschichte der Privatsphäre“ deutlich, daß eine geschützte Privatsphäre in der Geschichte der Menschheit teilweise unbekannt oder ein nicht realisierbarer Traum war und als Privileg den Mächtigen vorbehalten war. Für Untergebene oder gar Sklaven war sie schlicht und ergreifend inexistent. Erst die modernen Staatswesen stehen den Bürgen in ihren Verfassungen das Recht zu, in Ruhe gelassen zu werden.
In den folgenden Kapiteln, die den größten Teil des Buches ausmachen, stellen die Autoren die wesentlichen Prozesse die zum Verlust der Privatsphäre führen ausführlich vor. Auch wenn sie es so nicht formulieren, lassen sich diese in zwei Arten aufteilen. Einerseits die freiwillige, meist unbedarfte Selbstentblößung im Internet in Foren, sozialen Netzwerke (bspw. Facebook, Twitter), auf Webseiten und in Fernsehshows (Talkrunden, Casting-Shows) sowie in der Presse (Homestories). Andererseits die unfreiwillige Aufdeckung privater Angelegenheiten durch Dritte im Internet (rachsüchtige Ex-Freunde, Cyber-Mobbing) oder durch Fernsehsendungen und Berichte in der Boulevardpresse. Durch die konkrete Schilderung von aktuellen Einzelfällen, bei denen die Persönlichkeitsrechte mehr oder weniger massiv verletzt wurden, nehmen die Autoren genau daran Teil, was sie anprangern, an einem abermaligen Eindringen in die Privatsphäre, deren Schutz sie so eindringlich anmahnen. So bewerten sie es bspw. als positiv, daß eine bestimmte Webseite durch das Jugenschutzmodul der BPjM in der Suchmaschine Google gesperrt ist, erwähnen dann aber „isharegossip“ gleich mehrmals.
Dennoch prangern sie unzweifelhaft zu Recht an, daß in vielen Fällen Menschen von Medien einfach nur missbraucht werden, da sich mit Berichten aus den Persönlichkeitsverletzungen Kapital schlagen lässt. Mit den daraus oftmals entstehenden langfristig negativen Folgen werden sie dann alleine gelassen. Andererseits weisen sie auch daraufhin, daß es in vielen Fällen ein gegenseitiges Benutzen ist. Darüberhinaus wird die zunehmende Personalisierung der Politik, bei gleichzeitiger Abwendung von der Diskussion der eigentlichen Sachfragen zu recht beklagt. Unerwähnt bleibt, daß im Falle von Politikern die Verletzung der Persönlichkeitsrechte (bspw. Bekanntmachen unehelicher Kinder bei katholischen Moralisten, Homosexualität bei Homophobikern etc.), oftmals eben nicht einfach nur ein Tabubruch ist, sondern die Entlarvung der Scheinheiligkeit bei den Protagonisten.
Eine ganz besonders ausführliche Würdigung erfährt die Bildzeitung. Hier weichen die Autoren dann aber streckenweise vom Thema ab, in dem sie sich nicht auf die reine Schilderung erwiesener Persönlichkeitsverletzungen beschränken, sondern viele Fälle im hätte-so-sein-können Stil schildern. Das die Jubelartikel der Bildzeitung auf Politiker (Wullf, Guttenberg) zu einer Verunsachlichung eines Themas beitragen, der Geschäftemacherei und einer eigenen politischen Agenda dienen ist unstrittig, fallen aber nicht unter Verletzung der Privatsphäre. Abgesehen davon, daß die Aussagen zu Wulff („keine bösen Worte”) bereits mehr als widerlegt sind. Genausowenig ist die groß angelegte Werbekampagne der Bildzeitung, bei der Prominente mit ein paar Worten ihre Meinung zu Bild äußern, als Verletzung einer Privatsphäre zu sehen. Die Seiten zu den Praktiken von Bild mögen sachlich nicht falsch sein, tragen aber nicht wirklich zum Thema bei.
Wieder beim eigentlichen Thema, befassen sie sich mit dem „medialen Schaffott“ welches die Staatsanwaltschaften errichten, in dem von diesen vorzeitig Informationen an die Presse weitergegeben werden, wie es bei den Fällen des Post AG Managers Klaus Zumwinkel und Jörg Kachelmann geschehen ist.
Dem Internet stehen sie insgesamt eher skeptisch gegenüber. Diskussionswürdig ist ihre generelle Ablehnung von Bewertungsportalen („spick-mich“ u. Ä.). Für sie stellen diese einen Eingriff in die Privatsphäre dar, wenn jedermann die Bewertungen einsehen kann, abgesehen von dem tatsächlichen Problem, daß jedermann eine Bewertung abgeben kann, auch wenn er die Person überhaupt nicht kennt. Ihr Hinweis auf das „marktreife“ Projekt des Internetradiergummis, um das Internet Vergessen zu lehren, zeugt eher von Unverstand der zu Grunde liegenden Technik.
Wirklich umfassende Lösungen für die geschilderten Probleme, außer selbst auferlegte Zurückhaltung, haben sie allerdings nicht anzubieten. Das Buch ist eher eine Bestandsaufnahme.
Das Meiste was die Autoren schreiben ist richtig, dennoch scheint ihrem Buch eine eingeschränkte Sichtweise von Privatsphäre zu Grunde zu liegen. Sie scheinen darunter im Wesentlichen die Abwesenheit von Öffentlichkeit zu verstehen. Privatsphäre ist aber weitaus mehr, sie ist ein Kernbereich der niemanden etwas angeht, auch nicht das Staatswesen. Dieser Aspekt wird vollkommen ausgeblendet. Die zunehmende, klandestine Verletzung der Privatsphäre durch systematisches und automatisiertes Durchleuchten elektronischer Korrespondenz durch staatliche Organe, im Zuge neuerer Gesetzgebung zur sogenannten Terrorismusbekämpfung im Rahmen der G10-Gesetze, wird mit keinem Wort erwähnt. Gleiches gilt für die Praxis des Einblendens von individualisierter Werbung auf Webseiten durch Konzerne. Hierfür werden die (vermeintlichen) Vorlieben des Individuums durch Scannen des Inhaltes von e-Mails (bspw. Googlemail) oder durch Rückgriff auf die Bestellhistorie („Die Produkte könnten sie auch interessieren.“) ermittelt. Anhand des Buches kann in beiden genannten Fällen nicht erkannt werden, ob den Autoren das Problem nicht bewusst ist oder ob es für sie keine Verletzung der Privatsphäre darstellt, da es weitgehend automatisiert und ohne Eingriff eines Menschen abläuft.