Politische Doppelmoral

Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Deutsche Bundestag trotz langer und teils heftiger Diskussion alle Bedenken zum Jugendschutz über Bord geworfen und die Gentialverstümmelung an kleinen Jungen explizit legalisiert. Jetzt hat sich die werdende große Koalition außerhalb des Koalitionsvertrages darüber verständigt, ein praktisch so nicht existierendes Problem anzugehen. Man will Schönheitsoperationen bei Minderjährigen unter Berufung auf den Jugenschutz zu verbieten:

Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, teilte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit: „Zum Jugendschutz gehört es auch, Jugendliche vor den Folgen eines falschen Schönheitswahns zu bewahren. Einen jungen Körper im Wachstum unnötig einem solchen massiven Eingriff auszusetzen, kann körperlich und geistig fatale Folgen haben. Eine Brustvergrößerung als Geschenk für eine 15-Jährige zu Weihnachten finde ich jedenfalls völlig inakzeptabel. Medizinisch nicht notwendige Schönheitsoperationen bei Minderjährigen zu verbieten ist einfach, transparent und unbürokratisch. Es steht zwar nicht im Koalitionsvertrag, aber wenn die SPD da mitmacht, können wir es bald regeln.“

Ein an sich richtiges Unterfangen, aber es offenbart wieder einmal die profunde Doppelmoral der Parlamentarier aus den Reihen von CDU/CSU und SPD. Die Parteien hielten es vergangenes Jahr nicht für nötig kleine Jungen vor den Folgen eines falschen Religionswahns zu schützen. Da von klassischen Schönheitsoperationen bei Minderjährigen, deren Zahl verschwindend gering ist, im Wesentlichen Mädchen betroffen sind, verstärkt sich bei mir der Eindruck, daß immer dann drigender Handlungsbedarf — und nur dann — gesehen wird, wenn Mädchen betroffen sind.

Es wird interessant sein zu erfahren, wie in diesem Fall „medizinisch notwendig“ definiert werden wird. Bei der Beschneidung von Geschlechtsorganen ist die medizinische Notwendigkeit nie gegeben, da es sich zweifelsfrei um eine religiöse Tradition, meist sogar von medizinischen Laien, speziellen Beschneidern, durchgeführt, handelt. Bei Schönheitsoperationen ist die Angelegenheit nicht mehr so einfach, denn der Übergang zwischen Mißbildung, psychischem Leiden (bspw. durch Hänseln) und rein ästhetischem Schönheitsideal ist fließend und schnelllebigen Moden unterworfen. Selbst Mißbildungen müssen nicht mit einer Funktionstörung, deren Beseitigung eine medizinische Notwendigkeit darstellt, einher gehen. Viele kleinere Mißbildungen (bspw. überzählige Finger und Zehen) oder Fehlstellungen (bspw. „Segelohren“) werden heute oftmals frühzeitig ohne Aufhebens beseitigt, so daß man diese auf unseren Straßen nicht zu sehen bekommt. Erst Reisen durch Entwicklungsländer offenbart dann die Vielzahl auftretender Abweichungen beim Menschen. Diese kosmetischen Korrekturen könnten dann auch verboten sein. Insofern dürfte ein einfaches Verbot über das Ziel hinausschießen, wenn keine weitergehenden Regelungen vorgesehen sind.

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