Keine Netzneutralität in Neuland

Also nachtragend ist Bundeskanzlerin Angela Merkel anscheinend nicht, denn ansonsten hätte sie sich wohl kaum auf der Konferenz „Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung“ des „Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation“ (da war doch was mit Vodafone und Geheimdiensten) zu einem (heise, Zeit) Vortrag in dem sie ihre Meinung sagt, hinreißen lassen. Da sie sich gegen Netzneutralität geäußert hat, darf man davon ausgehen, daß es für die Abwendung von der Netzneutralität einen breiten Konsens in der Regierung gibt, da Merkel erst dann konkret wird, wenn es eine breite Übereinstimmung gibt. Daher dürfte die Rettung der Netzneutralität schwierig werden.

Wenn Sie das fahrerlose Autofahren haben wollen, oder wenn Sie bestimmte telemedizinische Anwendungen haben, dann müssen sie natürlich eine fehlerfreie und immer gesicherte Übertragung haben.

Wer immer Merkel diese Beispiele in den Mund gelegt hat, bezweckt etwas Anderes. Ich bin deshalb davon überzeugt, daß die Beispiele nicht von Merkel selbst stammen, weil Fr. Merkel keine Zukunftsvisionen äußert, sie reagiert im Jetzt, hat aber meiner Meinung nach keinen wirklichen Zukunftsvorstellungen, an der sie die Gesellschaft sehen möchte. Sie ist einfach keine Visionärin. Somit sollen die Beispiele zwei Dinge erfüllen. Erstens sollen sie Merkel als richtige Person für ein zukunftsfähiges Deutschland aufbauen. Nur mit ihr kann Deutschland wieder an die Front moderner Hochtechnologie zurückkehren, so soll uns weisgemacht werden. Zweitens sollen die Beispiele den Wähler auf die falsche Fährte locken, um vom Eigentlichen abzulenken. Dazu weiter unter was etwas, zunächst kurz zur ihren Beispielen, die sich bei näherer Betrachtung als untauglich erweisen.

Fahrerlose Autos liegen derzeit in derart weiter Zukunft, daß sich die Provider darüber mit Sicherheit nicht jetzt den Kopf zerbrechen. Bis es zu führerlosen Autos kommt sind noch sehr viele technische udn juristische Hürden zu überwinden, bisher schaffen es selbstfahrende Fahrzeuge noch nicht einmal über längere Zeit auf der Straße zu bleiben. Erst wenn das Problem gelöst ist, kann man über rollende Drohnen nachdenken. Wenn bei einer fliegenden Drohne für einige Minuten die Funkverbindung unterbrochen wird, passiert nichts, die Drohne fliegt erstmal weiter. Im Straßenverkehr sieht die Sache, allein schon auf Grund der Verkehrsdichte, anders aus, da kann sich von einer Sekunde zur Anderen, die Situation schlagartig ändern. Hier muß eine rollende Drohne in der Lage sein autonom zu handeln. Das ist auch mit Bandbreite allein nicht zu lösen. Diese Techniken werden weder von den Providern und Telekommunikationsunternehmen (Telkos) entwickelt, noch bilden sie mittelfristig die Change daraus Umsatz oder gar Gewinne zu generieren. Aus heutiger Sicht sind diese Anwendungen bis auf Weiteres schlicht irrelevant und mit Sicherheit kein Grund die Netzneutralität aufzugeben.

Bei telemedizinsichen Anwendungen muss man fragen welche gemeint sind. Soll hier für dünner besiedelte Regionen und Behinderte die Möglichkeit eines virtuellen Arztbesuches geschaffen werden, würde ein moderater Ausbau der Bandbreite ausreichen, da man nur eine etwas verbesserte Übertragungsqualität wie bei Skype benötigt. Für das Auslesen der Daten von medizinischen Überwachungsgeräte müssen vor allen Dingen Übertragungsfehler ausgeschlossen werden. Dies muss aber in jedem Falle durch kryptografische Algorithmen erfolgen, eine garantierte Bandbreite allein löst das Problem jedenfalls nicht. Deutlich anders sieht die Sachlage bei der Übertragung der Daten von bildgebenden Diagnoseverfahren aus. Für eine breite Anwendung ist eine hohe Bandbreite erforderlich, insbesondere wenn die Pläne im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte und der elektronischen Patientenakte umgesetzt werden, bei der als Endziel die zentrale Speicherung aller Patientendaten vorgesehen ist. Hier ist meines Erachtens die gesellschaftliche Diskussion noch nicht an ihrem Ende angelangt, ob dies üpberhaupt wüsnchenswert ist. Dennoch würde auch hier ein Ausbau des Netzes ausreichend sein. Eine Aufhebung der Netzneutralität würde nicht viel ändern.

Wir brauchen uns über Netzneutralität nicht zu unterhalten, wenn die Kapazitäten nicht zur Verfügung stehen.

Das halte ich für eine grandiose Fehleinschätzung. Neuland eben. Warum wollen wohl die Telkos die Netzneutralität jetzt sofort abschaffen und nicht erst das Netz ausbauen? Gerade weil die Netzneutralität bei knapper Ressource Bandbreite für die Telkos eine Behinderung darstellt, denn nur so lange wie die Bandbreite eine knappe Ressource darstellt, können sie garantierte Bandbreiten teuer verkaufen. Oder umgekehrt, warum sollte jemand in einem „schnellen“ Netz mit immer gleichmäßig hoher zur Verfügung stehender Bandbreite Geld für die Garantie einer Solchen bezahlen? Für den Ausbau der Bandbreite müssen die Unternehmen mit enormen Investitionen in Vorleistung gehen und auf absehbare Zeit würde der Gewinn niedriger ausfallen. Schlecht für den Aktienkurs.

Bereits Ende Oktober hatte Merkel auf dem IT-Gipfel in Hamburg gesagt, dass mit Bandbreiten unter 50 Megabit pro Sekunde, Autos nicht über das Internet gesteuert werden könnten. Auch Operationen, bei denen Patient und Arzt sich nicht am gleichen Ort befinden und die mithilfe des Internets durchgeführt werden, seien mit der aktuellen Bandbreite nicht machbar.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man eigentlich mehr als froh sein, daß diese Einsatzgebiete noch in weiter Ferne liegen, dafür ist die vorhandene Infrastruktur des Internets viel zu unsicher. Die Vorstellung Hacker und Geheimdienste dringen nach Belieben in Operationsroboter — die Gelegenheit unliebsamen Mitmenschen einen bedauerlichen Unfall zukommen zu lassen — und selbstfahrende Systeme — Eingriffe in Bremsen und Accelatoren können, wenn in einer konzertierten Aktion durchgeführt, eine ganze Volkswirtschaft in den Ruin treiben — ein, kommt einem Albtraum gleich. Von der miserablen Qualität deutscher Informatik und ihrer misratenen Großprojekte will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen.

Diese Ankündigung von Hochtechnologie soll meines Erachtens den Blick auf den eigentlichen Zweck verschleiern. Es geht den Telkos nicht um ferne Zukunftsprojekte der Hochtechnologie, sondern um Gewinnmaximierug in Gegenwart und naher Zukunft. Das ist zwar ein legitimes Ziel, d.h. aber nicht, daß es auch gesellschaftlich wünschenswert ist und von der Politik unterstützt werden muss. Eine Allianz aus Telkos, „Contentindustrie und Werbebranche sieht hier ihr Pfründe. Eine Abschaffung der Netzneutralität stärkt Oligopole und führt zu einer Minderung der Vielfalt. Aus Sicht der Unternehmen wünschenswert, aber aus Sicht einer demokratisch-bürgerlichen Gesellschaft ist Wirkung langfrsitig katastrophal.

Die Abschaffung der Netzneutralität kommt noch einder anderen Gruppe von Politikern zu Gute, nämlich jenen die eine gelenkte Demokratie anstreben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann jeder seine Meinung im Internet frei äußern, in dem er einen Blog eröffnet und der Leser kann frei wählen. Prinzipiell steht das kleine Nischenblog gleichberechtigt neben den großen Nachrichtenseiten. Bei Abschaffung der Netzneutralität wird diese Gleichberechtigung aufgehoben. Jetzt kommt es auf die Finanzkraft von Sender und Empfänger an, ob eine Seite für jedermann erreichbar ist oder nicht. Auf Seiten der kleinen Anbieter fehlen die finanziellen Ressourcen Einspeisegebühren zu zahlen und auf Seiten der Empfänger wird nicht jeder das Geld haben sich einen umfassenden, also teureren, Internetzugang leisten zu können, da die Provider dem Kunden Zugangspakete anbieten werden. Die preiswerteren umfassen dann die großen Nachrichtenportale und allerlei Unterhaltungs- und Werbeprodukte, die teureren den freien Zugang. Große mit der Politik verflochtene Verlage wie der Axel-Springer-Verlag oder Bertelsmann werden ihren Einflussbereich weiter vergrößern können und wieder die Deutungshoheit über politische Ereignisse zurückgewinnen können, da alternative Angebote für die Masse schwerer zu erreichen sein werden. So braucht man nich einmal mehr Zensur einführen, Alternativmeinungen werden einfach technisch marginalisert und letztendlich auch kriminalisiert, denn wer nur im freien, vulgo gefährlichen, Teil wahrnehmbar ist wird mit lichtscheuem Gesindel gleichgesetzt werden.

Wir sollten alles für die Aufrechterhaltung der Netzneutralität tun, um auch in Zukunft ein halbwegs freies Netz mit vielseitigen — wenn auch oft weniger wünschenswerten — Angeboten zur Verfügung zu haben. Wer freie Bürger will, muss auch Netzneutrlität wollen.

Ein Kommentar

  1. […] Neulich hatte ich bereits geschrieben, daß wenn sich Angela Merkel festlegt, es bereits einen breiten Konsens, auch wenn der Nonsens ist, geben muss. Genau das hat sich nun herausgestellt, denn inzwichen ist bekannt geworden (heise), daß die Bundesregierung offenbar ein Konzept für die EU ausgearbeitet hat, in welchem das offene, netzneutrale Internet und die Forderung nach Spezialdiensten verknüpf werden soll. Damit haben sie die Quadratur des Kreises vollbracht. Leider haben sie aber nicht verstanden wie das Internet funktioniert. […]

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