Vorurteilsbehaftete Fleischesser und empathische Veganer

Seit einiger Zeit geistert eine Studie durch’s Internet (z. B. Presseerklärung der Uni Mainz¹, hier) deren Ergebnis sein soll, daß Fleischesser einen Hang zu Dominanz und authoritären politischen Einstellungen haben sowie zu mehr Vorurteilen neigen, als Vegetarier und diese wiederum mehr als Veganer. Eine Darstellung, die einen näheren Blick in die Originalveröffentlichung [1] lohnt, zumal zu erwarten ist, daß diese Studie bei zukünftigen Diskussionen zum Pro und Contra von Vegetarismus/Veganismus noch in Erscheinung treten wird.

Den Anstoß zu der Untersuchung in Deutschland könnte eine ähnliche Untersuchung von 2008 gegeben haben [2], bei der sich „Gemüsevermeider“ („vegetable avoiders“) in einer Selbstbeschreibung öfter rechtslastigem Authoritarismus und gesellschaftlicher Dominanz anhängend, als Vegetarier und diese wiederum häufiger als Veganer erwiesen haben. Allerdings handelt sich dabei um eine reine Literaturstudie/Metastudie.

In der aktuellen Studie wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen den Ernährungsgewohnheiten vegan, vegetarisch, omnivor und rechtslastigem Authoritarismus, Vorurteilen gegenüber Minderheiten und der Akzeptanz gesellschaftlicher Dominanz gibt. Immerhin alles Themen die eine gewisse gesellschaftliche Brisanz entfalten. Die Ergebnisse stammen aus der Auswertung von 1.381 von für diesen Zweck entworfenen Fragebögen in Deutschland. Die Antworten teilen sich nahezu gleichmäßig auf die Gruppen auf, so gaben 35% an Allesesser, also eine Mischung aus pflanzlicher und tierischer Kost, 31% Vegetarier und 34% Veganer zu sein. Bei diesen Werten ist sofort offensichtlich, daß es sich um keine für die deutsche Gesellschaft repräsentative Umfrage handeln kann, denn dann sähen Supermärkte und Gastronomie vollkommen anders aus. Diesen Umstand begründen die Autoren in der Diskussion damit, daß Repräsentativität nicht das Ziel gewesen sei, sondern man bewusst bei Vegetariern und Veganern Werbung zwecks Hebung des Anteils dieser beiden Gruppen für die Umfrage gemacht hat, um überhaupt zu statistisch auswertbaren Ergebnissen zu gelangen, denn gemäß den Angaben des Vegetarierbundes e.V. hätten sie anderfalls mit 90% Allesessern und jeweils 1% Vegetariern und Veganern zu rechnen gehabt². Dies ist auch gleich der erste Kritikpunkt der Untersuchung, denn es ist höchst fraglich inwieweit sich bei derart stark vorselektierten Gruppen überhaupt eine verallgemeinernde Aussage treffen lässt. Allerdings weisen die Autoren auch selbst darauf hin, daß ihre Ergebnisse immer in dem Lichte betrachtet werden müssen, unter dem sie gewonnen wurden. Auch ist ihnen bewusst, daß die Antworten nur von Personen kommen, die überhaupt am Thema interessiert sind. Das ist gut, daß sie dies wissen, doch bei welcher konkreten Gelegenheit nun ihre Schlussfolgerungen zur Anwendung kommen sollten, sagen sie (wohlweislich?) nicht.

Nächster Punkt ist die Art der Befragung. Sie erfolgte anonym online und die Teilnehmer wurden durch Werbung im Internet, über soziale Netzwerke und einem Schneeballsystem (nicht näher erläutert, ich vermute per e-Mail) und durch Verteilen von Flugblättern an Universitäten, in Kantinen und Supermärkten gewonnen. Um den Anteil an Vegetariern und Veganern zu erhöhen wurden entsprechende Vereinigungen kontaktiert. Die Beantwortung der Fragen, bei denen man zu vorgegebenen Antworten mehr oder weniger zustimmen konnte, beruhte einzig und allein auf der Selbsteinschätzung der Teilnehmer! Dies führt zwangsläufig zu massiv verfälschten Ergebnissen, denn selten stimmen Eigenbild mit Fremdbild einer Person miteinander überein, noch ist das Eigenbild in irgendeiner Form objektiv. Selbst der größte Rassist hat niemals einfach nur Vorurteile, sondern immer nur gute Gründe für sein Verhalten. Ergebnisse von Befragungen die allein auf Selbsteinschätzung beruhen, halte ich persönlich, sofern nicht die Selbsteinschätzung selbst Untersuchungsgegenstand ist, für vollkommen wertlos.

Die Teilnehmer (12-86 Jahre, bei 32 Jahren Durchschnitt), mussten den Satz „Ich bin …“ mit einer der drei Möglichkeiten

  1. Omnivor (eine Person, die sowohl Fleisch, Fisch, Wurstprodukte, Milch und Eier und deren Produkte sowie Gemüse, Früchte und Getreidprodukte isst)
  2. Vegetarier (eine Person, die sowohl Gemüse, Früchte und Getreideprodukte, als auch Milch und Eier isst, aber kein Fleisch oder Fisch und deren Produkte daraus)
  3. Veganer (eine Person, die keinerlei tierische Produkte, inklusive Milchprodukte noch Eier isst)

komplettieren. Sofern die Teilnehmer ehrlich sind, mag hier die selbstgewählte Zuordnung noch einigermaßen stimmig sein, wenn auch nicht objektiv festgestellt, aber bei allen nachfolgenden Fragen zu politischen und ethischen Themen dürfte das Selbstbild erhebliche Abweichungen von der Realität aufweisen. Dies lässt sich recht einfach zeigen, wenn man sich etwas näher mit Veganern befasst. Beispielsweise gibt es eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Veganern, die der obigen Definition nicht so ohne Weiteres zustimmen würde, denn für sie ist jemand nur dann ein richtiger Veganer, wenn er aus ethischen Gründen auf Tierprodukte verzichtet. Wer sich also aus rein gesundheitlichen oder geschmacklichen Gründen vegan ernährt ist in deren Augen kein „richtiger“ Veganer (Umdefinition der Grundgesamtheit, auch bekannt als das Problem des wahren Schotten). Diese Veganer haben dann auch meist einen gewissen missionarischen Eifer und werden wohl auch häufiger an der Studie teilnehmen. Wie bei diesen Leuten die Selbsteinschätzung bzgl. Vorurteilen gegenüber Minderheiten (sie sind ja selbst eine und fühlen sich benachteiligt) und anderen politischen Themen ausfällt kann man sich denken, da sie sich für die besseren Menschen halten. Daß dieses Selbstbild nicht unbedingt etwas mit der gelebten Realtität zu haben muss, ist naheliegend.

Nach der eher eigenwilligen Datenerhebung nun noch kurz etwas zu den statistischen Daten, denn Zahlen können sich nicht wehren, am Beispiel der Tendenz zur Vorurteilsbehaftung.

Mittelwert
Männer
Mittelwert
Frauen
Omnivoren 2,5 ± 0,6 2,2 ± 0,5
Vegetarier 2,3 ± 0,5 2,1 ± 0,5
Veganer 2,1 ± 0,5 2,1 ± 0,5

Für meinen Geschmack liegen die Bereiche der einzelnen Gruppen viel zu eng beieinander, als daß sich daraus eine brauchbare Aussage ableiten ließe, da sich bereits im Bereich von einer Standardabweichung weite Teile der Verteilungen überlappen, also statistisch gesehen, könnten etliche Datenpunkte der einen Gruppe auch zu der anderen gehören. Die Trennschärfe ist einfach zu gering. So liegt bspw. der Bereich männlicher Omnivoren bei 1,9 – 3,1, der männlicher Veganer bei 1,6 – 2,6. Auch die Angabe des p-Wertes hilft hierbei nicht weiter³, denn er beschreibt nur die Wahrscheinlichkeit mit der die Untersuchungsergebnisse auch durch Zufall entstanden sein könnten (kurz hatte ich das Problem p-Wert hier schon mal angerissen). Der p-Wert macht hingegen weder eine Aussage über die Richtigkeit der Ergebnisse oder gar des Studienansatzes. Kurz gesagt: Ein hoch signifikanter p-Wert heißt nicht, daß das Studienergebnis selbst irgendeine Signifikanz aufweist. Anhand dieser Verteilungen auf menschliches Verhalten und dann auch noch im hoch variablen Bereich von Vorurteilen, politischer Gesinnung etc. in einer Ursache-Wirkungskette Gruppenunterschiede festmachen zu wollen ist mehr als nur verwegen.

Resümee

Das Autorenteam hat viele Kritikpunkte der Studie zur Datengewinnung bereits selbst in der Diskussion vorweggenommen — andernfalls wäre das Paper wohl auch nicht durch den peer review gegangen —, es ist sich also bewusst, daß seine Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können. Vorsichtig formuliert sind die Ergebnisse außerhalb eines rein akademischen Zirkels nicht verwertbar.

Selbst wenn man aber mal rein hypothetisch annimmt, daß das Ergebnis der Studie, Fleischesser sind weniger empathisch, neigen zu authoritären Einstellungen, Dominanz und mehr Vorurteilen (nachfolgend von mir zur Verkürzung als Aggressivität umschrieben), tatsächlich zuträfe, ergeben sich noch zwei wesentliche Kritikpunkte.

  1. Korrelation versus Kausalität
    Ein wesentlicher Punkt, der in der Untersuchung überhaupt nicht angesprochen, bzw. der Rezipient sogar in die falsche Richtung gelenkt wird, ist die Beziehung zwischen Korrelation und Kausalität. Der Artikel weckt in meinen Augen den Eindruck, als ob der Fleischkonsum Ursache für eine höhere Aggressivität ist und Vegetarismus und erst recht Veganismus zu friedlicheren Menschen führt, mithin eine Umstellung auf eine vegetarische Gessellschaft wünschenswert ist. Ein Umstand der von Autoren auch indirekt angesprochen wird:

    This research is of academic value and of value to policy makers and practitioners in the food supply chain.

    Die Ursache-Wirkungsbeziehung könnte in diesem Fall aber auch genau andersherum gelagert sein. Aggressivere Individuen reichern ihre Nahrung eher mit Fleisch an. Als Erklärungshypothese könnte man anführen, daß entwicklungsgeschichtlich gesehen man eine gewisse Aggresivität aufweisen mußte, um in den Besitz von Fleisch zu kommen („Wer Fleisch essen will, muss töten.“). In diesem Falle würde eine Umstellung auf eine vegetarische Gesellschaft nicht zu einer Friedlicheren führen. Ein Blick auf den indischen Subkontinent läßt auch die Vermutung aufkommen, daß vegetarische Ernährung nicht automatisch zu einer besseren Gesellschaft führt.

  2. Relevanz
    Ein weiterer Punkt, übrigens einer den er mit sehr vielen anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen gemein hat, ist die Relevanz der Egebnisse im Gesamtbild. Immer noch unter der Annahme, daß die Erebgnisse ein real vorhandenes Phänomen abbilden, ist der Unterschied zwischen beiden Gruppen doch wenig ausgeprägt. Nehmen wir als Beispiel die USA, die sich — überspitzt formuliert — auf Barbecue und den Besitz von Waffen von gründet. Unbestreitbar hat die amerikanische Gesellschaft ein massives Gewaltproblem und zwar auf allen Seiten, auch wenn die Polizeigewalt (derzeit) mehr in den Schlagzeilen ist. Würde man nun die USA in eine vegetarisch/vegane Gesellschaft transformieren, ginge der Effekt gegen Null, da die Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu gering sind und die Gewaltursache an anderer Stelle zu suchen ist, d.h. die gesellschaftliche Relevanz derartiger Ergebnisse ist nicht gegeben, sie sind allerhöchstens von akademischem Interesse.

In der Interpretation kommt auch der Genderaspekt nicht zu kurz. Es fällt in dem Artikel auf, daß mehrmals auf eine Assoziation von Fleischessen und Männlichkeit verwiesen wird. Allerdings widerspräche das dem Verhalten von Frauen in nicht-vegetarischen Gesellschaften, auch wenn der Frauenanteil unter den Vegetarien größer ist, als bei Männern. Die Hypothese steht meiner Meinung nach auf tönernen Füßen. Es ist nicht das Fleichessen an und für sich, welches mit Männlichkeit assoziiert wird, sondern die Rituale drumherum. Grillen ist Männersache, Männer fordern einerseits den Platz am Grill, andererseits schicken Frauen Männer an den Grill, lassen es sich dann aber schmecken. Auch der Hinweis, daß für Männer Fleisch im Leben eine größere Rolle spiele als für Frauen, ließe sich allein dadurch erklären, daß Männer oftmals härtere Arbeiten durchführen und dementsprechend auf eine höhere und anhaltende Energiezufuhr angewiesen sind. Gerade die mehrfachen Hiweise der Autorinnen auf Fleischkonsum und Männlichkeit, die gar nicht Untersuchungsgegenstand war, und der Tatsache daß die Korrespondenzautorin Fr. Prof. Dr. Susanne Singer vom IMBEI in mehreren Gleichstellungsgremnien der Universität sitzt, läßt bei der Studie dann doch eher an ein verkapptes Genderprojekt denken.

  • Stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Universitätsmedizin Mainz
  • Ausschuss für Chancengleichheit der Universitätsmedizin Mainz
  • Senatsausschuss für Gleichstellungsfragen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das könnte dann auch die Ursache dafür sein, daß die Uni die inhaltlich eher wenig ausgefeilte Arbeit mit einer Presseerklärung extra würdigt.

Anmerkung

Erstaunlich finde ich bei den gemessenen Werten auch die nahezu identische Streuung (Standardbweichung) bei den einzelnen Gruppen. Sollte der Fleischkonsum das untersuchte Verhalten tatsächlich beeinflussen, würde man bei den Omnivoren eine größere Streuung erwarten, da diese Gruppe besonders inhomogen ist, weil unter ihnen alle Personen subsummiert werden die überhaupt Fleisch und Fisch zu sich nehmen, egal in welchem Umfang. Einige mögen sich fast nur von Fleisch ernähren, andere wiederum nur ab und zu welches zu sich nehmen. Die nahezu gleiche Streubreite in den drei Gruppen deutet meiner Auffassung nach auf eine hochselektive Teilnehmerauswahl bei den Omnivoren, eine umgekehrte oder nicht vorhandene Kausalkette oder auf einen Denkfehler meinerseits hin.

Literatur

  1. Diet, authoritarianism, social dominance orientation, and predisposition to prejudice: Results of a German survey. P. Veser, K. Taylor, S. Singer. Br. Food J. 2015, 117 (7): 1949-1960, DOI: 10.1108/BFJ-12-2014-0409
  2. Asceticism and hedonism in research discourses of veg*anism. M. Cole. Br. Food J. 2008, 110 (7): 706-716, DOI: 10.1108/00070700810887176

1 Presseerklärungen von wissenschaftlichen Einrichtungen mit einem Verweis auf ein Paper, welches nicht frei zugänglich sind einfach nur beschissen. Dann sollen sie die Presseerklärung lassen!

2 ~90% + 1% + 1% = 92%, von was ernähren sich die restlichen 8%? Künstliche Ernährung, Steine, Licht, „weiß nicht“? Außerdem scheint ein identischer Anteil an Vegetariern und Veganern erstaunlich, ich hätte wesentlich mehr Vegetarier als Veganer erwartet. Aktuell (2015) geht der VEBU auch von rd. 10% Vegetariern und 1% Veganern aus, was mir als deutlich wahrscheinlicher erscheint. Es ist daher naheliegend von einem Tippfehler im Originalpaper auszugehen.

3 Das mit den p-Werten muss nicht unbedingt auf das Autorenteam zurückgehen. Es gibt Gutachter, die lassen ein Paper ohne p-Werte nicht passieren und dann berechnet man die eben nach und fügt sie bei den Grafiken oder Tabllen ein. Da aber im Text auf den p-Wert abgehoben wird, gehe ich davon aus, daß sie tatsächlich ursprünglich von den Autoren gewollt waren.

2 Kommentare

  1. Pollux sagt:

    Sollte die Inspiration für diese ‚Studie‘ auf den Lügengeschichten des Herrn Stapel von der Uni in Tilburg beruhen?
    Der behauptete vor ein paar Jahren, dass Menschen, die daran denken Fleisch zu essen, sich weniger sozial verhielten als andere Menschen.

  2. @Pollux
    In den Quellen im Artikel findet sich jedenfalls kein (direkter) Bezug auf Hr. Stapel, allerdings kann sich auch nach dessen Fälschungen niemand mehr erlauben Stapel als Quelle zu benennen. Da Fr. Veser einen Master in Science in Psychologie hat dürfte sie ihn aber zumindest dem Namen nach kennen.

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