Momentan gibt es sehr viel Aufregung über den Abfluss der Daten von 50 Millionen Nutzern aus dem Facebooknetz an Cambridge Analytika. So ganz rund erscheint mir die Geschichte allerdings nicht.
Bis vor ein paar Wochen sollte man unbedingt zu Facebook gelockt werden, von den Printmedien, von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten („Wenn sie mehr erfahren wollen, besuchen Sie uns auf unserer Facebookseite“). Im Gegensatz zu einfachen Webseiten verschwinden bei Facebook auch viele Inhalte hinter der Mitgliedsschranke. Wer nicht bei Facebook ist, sieht den Inhalt nicht. Besonders ärgerlich, wenn es sich dabei um Einladungen zu eigentlich öffentlichen Veranstaltungen handelt. Warnungen an Benutzer, daß Facebook eine einzige riesige Datensammelmaschine ist und das Unternehmen Software — deren Entwickler wollen ja ebenfalls entlohnt werden — und Serverparks wohl kaum in rein philanthropischer Absicht jedermann kostenfrei zur Verfügung stellt, wurden regelmäßig in den Wind geschlagen. Selbst wenn, stellte sich die Frage nach der Herkunft des Geldes für den Betrieb. Unter diesem Aspekt grenzt die derzeitige Aufregung doch an Heuchelei, denn man war gewarnt, wollte es aber nicht wahrhaben (Letzteres scheint ein generelles Problem zu sein). Alle die sich momentan besonders laut über Facebook aufregen haben ihren Anteil an dessen Wachstum geleistet. Entstehende wirklich datensparsame, freie Alternativen werden bis heute ignoriert und bekommen außer durch einige wenige Begeisterte keinerlei Unterstützung.
Eine Ironie an der Angelegeheit ist auch, daß der Whistleblower Christopher Wylie, der den derzeitigen Stein ins Rollen brachte, selbst eine Facebookseite betrieb, die ihm danach durch Facebook gesperrt wurde.
Facebooks Ziel war es von Anfang an möglichst viele Daten über seine Benutzer zu erhalten und diese gewinnbringend zu verwerten und an dieser Stelle wird die gegenwärtige Sachlage etwas merkwürdig. Wird ein Privatdetektiv zur Beschattung einer Person beauftragt, sammelt er die Daten und gibt sie anschließend vollständig an den Auftraggeber weiter. Nicht die Daten selbst sind die Einnahmequelle, sondern deren Beschaffung. Bei Facebook ist das anders. Die Investition in Software und Technik dient der Beschaffung der Daten, der eigentliche Wert besteht jedoch in der Sammlung möglichst vieler Daten über möglichst viele Individuen. Diese Sammlung sind die Kronjuwelen des Unternehmens müssten geschützt werden. Würde Facebook diese Daten durch Verkauf weitergeben, untergrübe es langfristig einen wesentlichen Teil seines eigenen Geschäftsmodells. Es stellt sich daher tatsächlich die Frage, ob Facebook die Daten Cambridge Analytika tatsächlich willentlich zur Verfügung gestellt hat. Die neueren Erklärungen von Facebook es sei hier das Opfer und wolle die Daten der Nutzer besser schützen, muss daher nicht vollkommen falsch sein, aber Mittäter ist es auf jeden Fall. Allerdings möche Facebook die Daten nicht wegen der Benutzer schützen — man erinnere sich, Mark Zuckerberg höchstselbst hält Privatsphäre für obsolet: „Privacy is no longer a social norm“ —, sondern zwecks Erhalt seines Geschäftsmodells. Sollte Facebook Cambridge Analytika die Daten überlassen haben, sollte erwartungsgemäß im Gegenzug Geld bzw. geldwerte Gegenleistungen geflossen sein. Was bisher bekannt ist, wurden die Daten über eine von Facebook zur Verfügung gestellte Schnittstelle anscheinend durch eine App ausgelesen, die sich nach außen hin eine Art Psychotest in Form eines Quizes darstellte, aber im Hintergrund auf die bei Facebook gespeicherten Profile des Benutzers und seiner Freunde zugegriffen hat. Bisher sieht es daher nicht danach aus, als ob sich Cambridge Analytika gegenüber Facebook rechtswidrig verhalten hat. Es gibt keinen Hack, Diebstahl oder Ähnliches. Dennoch kann genau genommen dieser massive Datenabfluss nicht im Sinne von Facebooks Geschäftsmodell sein, außer Facebook betreibt neben dem verteilen von Werbung, denn nichts anderes ist Facebook, ein übergroßer Werbeverteiler, noch eine verborgene Agenda. Gibt es also im Hintergrund noch weitere nicht-öffentliche Vertragsvereinbarungen mit Facebook? Die teilweise geäußerte Meinung, Facebook habe jahrelang ein Datenleck ignoriert, halte ich zwar für möglich, aber für nur sehr schwer vorstellbar. Man lässt die Tür zu den Kronjuwelen willentlich offen, auf das sich jeder der vorbeikommt ein paar mehr Steinchen (50 Millionen Profile bei 2 Milliarden Konten ist zahlenmäßig nicht sehr viel) mitnehmen kann? Momentan gewinnt die Angelegenheit weiter an Fahrt, da lt. New York Times auch die Firma Palantir von Peter Thiel, Investor und Aufsichtsratsmitglied bei Facebook sowie Unterstützer von Donald Trump, bei der Datenernte involviert gewesen sein soll.
Worüber übrigens immer noch nicht hinreichend gesprochen wird ist, daß Facebook über die Like-Buttons (die gehören schon lange umgehend entfernt!) auf Webseiten auch Daten von Personen sammelt, die überhaupt nicht Mitglied bei Facebook sind und über seine Tochtergesellschaft WhatsApp ebenfalls Daten von Personen sammelt, die kein WhatsApp benutzen. Unbeteiligte Dritte landen also in den Datenbanken, hieran muss sich endlich etwas ändern.