Nationalstaaten müssen überwunden werden

Ein Interview mit Dr. Angelica Schwall-Düren zu der bevorstehenden Wahl in der EU und den Plänen der Sozialdemokraten. Wieder mal ein Beispiel, wie Ideologie die Politik bestimmt und der Wähler nur als Stimmvieh benötigt wird, um die Ideologen an der Macht zuhalten.

Frau Schwall-Düren, Sie genießen nun nach Jahrzehntelanger politischer Betätigung den Ruhestand. Woran erkennt man, dass Sie nach wie vor für Europa „brennen“?

Die von der SPD brennen derart stark für Europa, daß inzwischen schon fast ganz Europa brennt.

Haben Sie eine Idee? Wie kann man heute junge Leute für Europa begeistern?

Schwall-Düren: Die jungen Menschen haben verstanden, dass der Klimawandel ihre Zukunft in Gefahr bringt. Sie demonstrieren gegen das verantwortungslose Verhalten etablierter Politik und der Wirtschaft. Wenn wir uns an die Seite dieser jungen Leute stellen, können wir sie überzeugen, dass gemeinsames Handeln in Europa möglich ist. Mit ihren Stimmen kann auch der Rechtsruck bei der Wahl aufgehalten werden, damit Europa nicht wieder in abgeschottete muffige und in Wahrheit machtlose Nationalstaaten zerfällt.

Genau hier liegt auch einer der Gründe, warum man bestrebt ist, das Wahlalter möglichst weit abzusenken.

Man dreht es sich wie man es braucht. Einerseits hat man Angst vor den starken Nationalstaaten weshalb sie eingehegt werden müssen — gemeint ist meist als Erstes Deutschland —, dann wieder sind die Nationalstaaten so machtlos, daß größere Bünde zwingend notwendig sind, aber immer geht einzig darum, einen riesigen Einheitsstaat zu schaffen.

Worin liegt der Unterschied zu einer abgeschotteten EU? Das muffige ist dann nur größer und bestimmt nicht einfacher zu verwalten, aber es fällt eine unüberschaubare Anzahl an Funktionärsposten für Parteisoldaten ab.

Wie demokratisch ist ein Gebilde aus über 500 Millionen Menschen eigentlich noch? Zwar finden regelmäßig Wahlen statt, aber das Gewicht der Stimme eines Einzelnen, selbst von kleineren Gruppen strebt mit zunehmender Größe gegen Null. Wirkliche Änderungen in der Politik sind dann nur noch sehr schwer erreichbar. Sicherlich auch ein gewollter Effekt, um Dinge festzuschreiben. Es hat im Laufe der Geschichte viele mehr oder weniger erfolgreiche Vielvölkerriesenreiche gegeben, doch wirklich Bestand hatte keines, sie sind immer wieder in kleinere Einheiten zerbrochen.

Viele sehen zurzeit das Europa-Projekt gefährdet. Was denken Sie?

Schwall-Düren: Diese Gefahr besteht nicht nur theoretisch. Zwar werden kaum weitere Staaten nach dem Vorbild Großbritanniens die EU verlassen wollen. Aber mit dem Erstarken von rechts- und linkspopulistischen Europaskeptikern wird die EU immer mehr daran gehindert, die dringenden Zukunftsaufgaben zu lösen, zum Beispiel gemeinsame Themen wie Migration oder nachhaltige Energiepolitik anzupacken. Wenn die EU sich aber nicht als handlungsfähig erweist, werden Bürger und Bürgerinnen die Sinnhaftigkeit der EU zunehmend mehr in Frage stellen.

Vom Chaos, welches die Briten selbst veranstalten, wird von der EU auch alles getan, damit die Briten es möglichst schwer haben die EU zu verlassen. Man will unter allen Umständen vermeiden, daß es zu einem Präzedenzfall kommt. Daher muss ein Austritt aus der Union kompliziert sein. Das ganze Dilemma ist doch einem Konstruktionsfehler der EU zuzuschreiben, bei der zwar der Eintritt recht fein granulär geregelt ist, aber der Austritt nicht. Man ist davon ausgegangen, daß die EU das Ende der Geschichte darstellt und die beste alle möglichen Welten darstellt. Wie einst bei der Sowjetunion, die einmal der Union hinzugefügten Satellitenstaaten sollten sie nie wieder verlassen.

Aber auch bei Fr. Schwall-Düren findet sich, wie eigentlich immer bei den Linken, der Kardinalfehler der Abwesenheit von Realitätssinn und das Verwechseln von Ursache und Wirkung. Es wird so getan, als ob die sogenannten „rechts- und linkspopulistischen Europaskeptiker ex nihilo auf der politischen Bühne aufgetaucht sind. Übrigens handelt es sich bei der sprachlichen Gleichsetzung von Europa und EU um vorsätzliche Täuschung, denn die beiden Begriffe sind alles andere als deckungsgleich (wo man sich doch beim Gendersprech ansonsten so pingelig gibt und jeden noch so kleinen Unterschied benennen will). Europa umfasst weitaus mehr Staaten und Menschen als die deutlich kleinere EU. Daher sind es auch keine Europaskeptiker (Wer zweifelt schon einen Kontinent an?), sondern EU-Skeptiker. Aber das nur am Rande. Es wird überhaupt nicht in Betracht gezogen, daß die Zunahme an EU-Skeptikern eine direkte Folge der bisherigen verfehlten Politik darstellt. Die Parteien der EU hatten mehrere Jahrzehnte Zeit die genannten Probleme anzugehen und, sie waren ja unter sich, eine Einigung herbeizuführen. Es ist ihnen nicht gelungen, weil sie sich einerseits im Klein-Klein der Regulierungswut verloren haben und andererseits Ideologen nach oben befördert haben, die eigene Agenden verfolgen. Sich jetzt über die zunehmende Zahl an EU-Skeptikern zu beschweren ist mehr als nur bloße Heuchelei, es ist die systematische Ablenkung vom eigenen Versagen.

Schwall-Düren: Eine „Europäisierung“ von Schulden bis zu einer festgelegten Grenze würde Sinn machen, weil dies für Stabilität sorgen und die Zinsen für alle Mitgliedstaaten senken würde. Diese wären nicht mehr für Spekulation anfällig. Jenseits dieser Verschuldungsgrenze müssten die Staaten selbst haften.

Das wird den deutschen Steuerzahler freuen zu hören, daß er die Schulden anderer übernehmen soll. Bereits heute stehen die EU-Länder bei Deutschland über die Target-Salden ganz tief in der Kreide.

Schwall-Düren: Ich bin begeisterte Anhängerin der Idee einer „Europäischen Republik“. Die Nationalstaaten müssen auf Dauer überwunden werden, denn bisher wird Fortschritt in der EU in den meisten Fällen von den Mitgliedsstaaten be- oder verhindert. Jede Weiterentwicklung in den nächsten Jahren darf deshalb den Weg zur „Europäischen Republik“ nicht verhindern.

Hier scheiden sich nun die Geister endgültig. Viele Menschen sehen dies grundsätzlich anders. Ein durchaus legitimer Standpunkt, aber in der EU arbeitet man bisher gezielt über die Köpfe der Bürger auf dieses Ziel hin, ohne die Bürger einzubeziehen oder gar ihre Ablehnung zu akzeptieren. Der EU-Bürger hat zu hinzunehmen, daß die Nationalstaaten aufgelöst werden müssen, basta. Von dieser EU-Politik haben eben immer mehr Bürger die Nase gestrichen voll. Daher werden die EU-Skeptiker auch nicht durch ein „Mehr Europa“ oder „Europa ist die Antwort“ zu überzeugen sein.

Nebenbeibemerkt, noch und gerade im Zusammenhang mit dem Migrationspakt wurde es immer als rechtes Hirngespinst abgetan, daß die Nationalstaaten abgeschafft werden sollen, aber genau das ist das Ziel. Hier haben die Bürger dann aber doch ein gewaltiges Wort mitzureden.

Ein Kommentar

  1. […] hatte es vor einiger Zeit schon mal angesprochen, daß ich mir Demokratie im Sinne von Mitbestimmung bei hunderten Millionen Menschen und etlichen […]

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