Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim hat entschieden, daß Anwohner frühmorgens Glockengeläut dulden müssen. Die Entscheidung (Az. 1 S 241/11) fiel zwar bereits im April, aber die Urteilsbegründung wurde erst jetzt bekannt. Interessant ist hierzu auch die Pressemitteilung des VGH vom 19.06.2012 unter dem Titel „Liturgisches Glockengeläut am frühen Morgen für Anwohner zumutbar; Grundrechte nicht verletzt.“
Die Beklagte berief sich auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht und ihre Religionsfreiheit. Das morgendliche Geläut sei Zeichen für den Tagesbeginn mit Gott; dieser Brauch werde seit langem gepflegt und sei sozial angemessen.
Akkustische Umweltverschmutzung als kirchliches Selbstbestimmungsrecht zu deklarieren ist schon recht dreist, ließe sich doch damit alles rechtfertigen, selbst Sklaverei und Folter. Obwohl, in anbetracht der Kirchengeschichte durchaus plausibel. Soziale Angemessenheit ist auch ein ziemlich dehnbarer, wenn nicht sogar leerer Begriff. Gleichwohl war diese Art der Verteidigung durch die Kirche nicht anders zu erwarten, entspricht es doch ihrem Selbstverständnis sich nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt zu fühlen.
Der VGH stellt zunächst fest, dass es nicht um eine innerkirchliche Angelegenheit gehe, die der Zuständigkeit staatlicher Gerichte entzogen wäre.
Klare Aussage, der in einem laizistischen Staatswesen nichts hinzuzufügen ist.
Das Glockengeläut sei keine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne dieses Gesetzes. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die damit verbundenen Immissionen Schwellenwerte der Technischen Anleitung (TA) Lärm überschritten. Die Immissionen seien zudem herkömmlich, sozial angemessen und allgemein akzeptiert. Die TA Lärm schütze die Nachtruhe grundsätzlich nur bis 6 Uhr.
Offensichtlich ist das Glockengeläut zum Hahnenschrei nicht mehr so ganz allgemein akzeptiert, denn es ist nicht die erste Auseinandersetzung in diesem Lande zu diesem Thema.
Das Glockengeläut berühre zwar seine Religionsfreiheit. Diese Einwirkung gehe aber nicht vom Staat aus. Der Staat sei auch nicht verpflichtet, zum Schutz der Religionsfreiheit des Klägers gegen die Beklagte einzuschreiten.
Die Begründung erscheint logisch als nicht konsistent. Es ist zwar richtig, daß die Belästigung nicht vom Staat ausgeht und Grundrechte zunächst Abwehrrechte des Bürgers gegen Übergriffe des Staates sind. Aber der Staat beansprucht das Gewaltmonopol für sich, an wen sonst, soll sich also ein Bürger zur Geltendmachung seiner Ansprüche wenden, wenn dieser sich für unzuständig erklärt? Außerdem hat sich das Gericht durch Berücksichtigung der Lärmschutzverordnung bereits indirekt für zuständig erklärt.
Die Beklagte übe mit dem Glockengeläut ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte eigene Rechte aus. Die widerstreitenden grundrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen seien daher in einer Abwägung schonend auszugleichen. Dieser schonende Ausgleich liege in der Beachtung der immissionsschutzrechtlichen Schwellenwerte. Ein weitergehender Immissionsschutz vor Glaubens- und Bekenntnisbekundungen der Beklagten stehe dem Kläger nicht zu. Denn dies würde der laizistischen Weltanschauung einen mit der Religionsfreiheit unvereinbaren Vorrang gegenüber anderen Weltanschauungen einräumen.
Einem Biergarten oder einer Diskothek werden durchaus weitergehende Immissonsschutzmaßnahmen auferlegt. Es besteht daher kein Grund dies bei Glockengeläut, welches über die jeweiligen Tempelanlagen hinaus wahrnehmbar ist, anders zu handhaben.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Was aber nicht heißt, das es keine weiteren Auseinandersetzungen hierzu geben wird.
Interessant kann dieses Urteil aber dennoch werden, denn hiernach kann auch jede Moschee mit einem Muezzin die Gläubigen zum Gebet rufen, sofern sich die Lärmpegel in den gesetzlichen Grenzen bewegen und die Nachtruhe bis 6:00 Uhr gewährleistet ist. Es wird also interessant sein zu sehen, mit welcher Begründung ggf. der Ruf des Muezzins im katholisch beherrschten Baden-Württemberg verhindert werden soll.