Edward Snowden und das Böckenförde-Diktum

Von Klerikern und Anderen, die sich vehement der Säkularisierung widersetzen und die Trennung von Staat und Kirche hintertreiben, wird oftmals das Böckenförde-Diktum als Rechtfertigung für die Notwendigkeit der Religion im Staatswesen angeführt, genauer gesagt meist nur in der verkürzten Form des ersten Satzes des Diktums (Staat, Gesellschaft, Freiheit. 1976, S. 60):

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.

Auch wenn ich mir noch nicht wirklich über die Motive von Edward Snowden sicher bin, könnte er durchaus als ein Beispiel für das dienen, was Böckenförde mit seinem Diktum gemeint hat. Je nachdem auf welcher Seite man steht, ist Edward Snowden entweder ein mieser Verräter oder ein Whistleblower, mithin also ein Held. Wenn man davon ausgeht, daß Edward Snowden tatsächlich „nur“ Fehlentwicklungen und rechtswidrige Praktiken aufdecken wollte, wäre er genau jenes notwendige, innere Korrektiv von dem Böckenförde gesprochen hat, denn die Enthüllungen Snowdens zu Prism und Tempora dienen in höchstem Maße der Sicherung der Freiheit, die der freiheitliche Staat dem Bürger gewähren soll. Gleichzeitig zeigt es auch, daß der Einzelne, Kraft seiner moralischen Integrität, gar nicht so machtlos ist wie es oft scheint, obwohl wir bisher noch nicht wissen, inwieweit die Veränderungen durch die Veröffentlichungen Snwodens tatsächlich zu einer Stärkung der Freiheit beitragen werden. Nicht jeder mag den Mut haben, so wie Edward Snowden seine bürgerliche Existenz derart radikal auf’s Spiel zu setzen, aber ein Mehr an Zivilcourage kann nicht schaden. Freiheit ist kein Zustand, der sich irgendwann von selbst einstellt, sondern muss zunächst erkämpft und dann auch erhalten werden. Sich für den Erhalt der Freiheit und der Bürgerrechte einzusetzen erfordert immer den Mut der Bürger, nie aber Religion.

Mag man dieser Argumentation folgen, muss man aber auch zwingend dafür eintreten Regelungen zum Schutze von Whistleblowern zu treffen.

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