Gesundheitsminister Gröhe: Ebola keine Gefahr für Deutschland

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU; @Groehe) verkündete großspurig, daß man in Deutschland auf Grund des guten Gesundheitssystems keine Angst vor Ebola haben müsse.

Unser Gesundheitssystem ist sehr gut aufgestellt. Deshalb muss sich niemand in Deutschland Sorgen machen.

Herr Gröhe ist Jurist und bisher nicht durch medizinisch-wissenschaftliche Expertise positiv in Erscheinung getreten, was zu der Überlegung führt, wie er zu dieser Aussage kommt. Wollte er einfach auch mal was zum Thema gesagt haben oder sind ihm diese Worte von seinen Einflüsterern im Miniserium in den Mund gelegt worden? Mir persönlich erscheint seine Einschätzung eher grob fahrlässig zu sein, weil sie von Unverständnis zum Umfang des Problems zeugt.

Zunächst ist festzuhalten, daß es gegen eine Ebolainfektion, wie auch gegen viele andere virale Erkrankungen, kein Heilmittel gibt. Es gibt derzeit einfach keine Virostatika gegen Ebola, vollkommen unabhängig davon wie gut oder schlecht ein Gesundheitssystem ist. Im Wesentlichen besteht die Therapie daher auch nur in der Stabilisierung des Flüssigkeitshaushaltes, da eine Infektion mit Durchfällen und Erbrechen einhergeht und der Verhinderung von Superinfektion des stark geschwächten Körpers durch andere Keime.

Um sich das Ausmaß der Epidemie zu vergegenwärtigen, helfen ein paar Zahlen zur Ausbreitung des Virus weiter. Inzwischen liegen ausführlichere epidemiologische Daten der WHO zur gegenwärtigen Ebolaepidemie in Westafrika vor. Mit Stichtag 14.09.2014 sind 4507 Ebolafälle mit 2296 Todesfällen offiziell bestätigt worden. Dies entspricht einer Mortalitätsrate von knapp 51%. Weiterhin ist bekannt, daß in den betroffenen westafrikanischen Ländern nicht nur das Gesundheitssystem in desolatem Zustand ist, sondern das gesamte Staatswesen und Korruption fröhliche Urständ feiert. Dieser Umstand führt dazu, daß eine erhebliche Zahl an Erkrankungen und Todesfällen in den Zahlen der WHO nicht enhalten ist. Somit ist die Sterberate mit hoher Wahrscheinlichkeit womöglich nur als untere Grenze zu bewerten.

Für die Länder Guinea, Liberia und Sierra Leone ergeben sich Dopplungsraten, also der Zeitraum innerhalb derer sich die Anzahl der Fälle verdoppelt, von 15,7, 23,6 und 30,2 Tagen. An dieser Stelle muss man sich nun die enorme Geschwindigkeit der Steigerung einer Exponentialfunktion vor Augen führen. Ausgehend von einem Erkrankten und und einer Verdopplungsrate von 20 Tagen, sind nach den ersten 20 Tagen 2 Individuen erkrankt, nach weiteren 20 Tagen 4, dann 8 usf. Was langsam und gemächlich anfängt wächst sich binnen kurzer Frist zu einem nicht mehr beherrschbaren Problem aus. Führt man diese Reihe fort, kommt man zu dem Ergebnis, daß man es nach nur maximal 33 Schritten mit über 8 Milliarden (≈2³³) Infizierten, also der gesamten Weltbevölkerung, zu tun hätte (ln(8·10⁹) ÷ ln(2) ≈ 32,9). Die 33 Verdopplungschritte entsprechen rund 660 Tagen (33 · 20 ≈ 660) oder einem Jahr und 10 Monaten. Da es bereits 4507 Infizierte (≈2¹²) gibt, verbleiben vom o.g. Stichtag an gerechnet noch 21 Schritte (2³³ ⁻ ¹² = 2²¹) oder 440 Tage, mithin also 1 Jahr und 2 Monate. Auch wenn man davon ausgehen kann, daß es weltweit keine ungebremste Ausbreitung der Infektion geben wird, verdeutlicht diese Betrachtung dennoch, welche verheerenden Auswirkungen ein Ausbruch einer Ebola-Infektion in einer Population haben kann und vor allen Dingen, daß zur wirksamen Eindämmung nicht allzu viel Zeit besteht. Insofern besteht gar keine andere Möglichkeit, als den Betroffenen Ländern von außen jede nur erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen. Auch wird verständlich warum die Isolierung der Ebola-Infizierten (Verdachtsfälle, Patienten, Verstorbene) absolute Priorität genießen muss und es keinerlei Spielraum für Diskussionen über politische, gesellschaftliche, kulturelle oder religiöse Befindlichkeiten geben kann, weder ín Westafrika, noch bei uns. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, in der gehandelt werden muss. Abgesehen davon, daß damit im Grunde schon viel zu lange gewartet wurde. Im Grunde gehört ganz Westafrika für eine gewisse Zeit unter Quarantäne gestellt.

Weiterhin ist erwähnenswert, daß der größte Teil der Infizierten zwischen 15 und 44 Jahre alt ist, also genau die Altergruppe betrifft, die sozioökonomisch für den Erhalt einer Gesellschaft unabdingbar ist.

Daher stellt sich für unser Gesundheitssystem auch weniger die Frage, ob wir genügend Betten auf Isolierstationen haben, selbstverständlich haben wir die nicht und die, welche vorhanden sind, sind auch nur an einigen urbanen Zentren zu finden, sondern wie schnell wir in der Lage sind, Infizierte erkennen und isolieren zu können. Die Hauptaufgabe der Isolierstationen ist denn auch weniger den Patienten zu heilen, als eine Unterbrechung der Infektionskette herbeizuführen, um eine weitere Ausbreitung der Epidemie zu verhindern, doch bei Hunderten (also bspw. eine Flugzeugladung oder ein voller ICE — es geht auf Weihnachten zu!¹) stößt unser und wohl auch jedes andere Gesundheitssytem binnen Minuten an seine Grenzen. Auch wird unser Gesundheitssystem seit Jahren kaputt gespart und wir haben keine Erfahrung wie gut unsere Notfallpläne in der Realität tatsächlich funktionieren.

Außerdem gibt es meiner Meinung nach noch eine weitere Unbekannte. Bisher haben wir keine konkreten Erkenntnisse, wie sich eine Ebolaepidemie in unserer mitteleuropäischen Lebenswelt tatsächlich auswirken würde, da bisher alle Ausbrüche in Schwarzafrika stattgefunden haben. Hohe Durchseuchung der dortigen Bevölkerung mit Parasiten aller Art, schlechte Ernährungslage und verunreinigtes Trinkwasser sind in diesen Ländern an der Tagesordnung. Die deutlich geringere Lebenserwartung zeugt davon. Auf der nördlichen Hemisphäre, insbesondere in Mittel- und Nordeuropa, sowie Nordamerika sieht die Angelegenheit anders aus. Allerorten sauberes Trinkwasser, ausreichende Nahrungsmittel- und Vitaminversorgung — unsere Nahrung ist in weiten Teilen schon quasisteril — und eine geographische Region, in der es deutlich weniger Parasiten in der Umwelt gibt. Das alles bedeutet nun nicht, dass wir zwangsläufig widerstandsfähiger gegen eingeschleppte Erreger sind. Im Gegenteil, es kann dazu führen, daß unser Immunsystem weniger gut vorbereitet ist und Keime daher leichteres Spiel haben könnten, was zu einer erhöhten Sterblichkeit führen könnte.

In Anbetracht dieser Sachlage sollte man sich die Worte von Gesundheitsminiuster Gröhe noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und einer erneuten Bewertung unterziehen. Man rufe sich auch die Fernsehbilder zum Transport der ankommenden einzelnen (!) Ebola-Patienten (mehrere Fahrzeuge mit Blaulicht) ins Gedächtnis. Wie soll das bei Hunderten funktionieren? Da ist viel Show mit dabei und selbst wenn dem nicht so wäre, widerlegten diese Bilder die Aussage von Gröhe, denn es ist klar, daß bei einer ausbrechenden Epidemie der Patiententransport nicht mehr auf diese Weise erfolgen kann. Ich persönlich halte die Aussagen von Gesundheitsminister Hermann Gröhe daher für grob fahrlässig. Einerseits weil die Gefahr (wissentlich?) heruntergespielt wird, andereseits weil er die Glaubwürdigkeit der Regierung und ihrer Maßnahmen untergräbt, sofern man bei dieser Regierung überhaupt noch von Glaubwürdigkeit sprechen kann, da bereits im Vorfeld die Unfähigkeit der politischen Entscheidungsträger zu Tage tritt. Beschwichtigungen helfen niemandem! Genausowenig ist es angebracht in Panik zu verfallen, aber man sollte die Situation realistisch betrachten.


1Man stelle sich nur vor, ein Infizierter benutzt im ICE Frankfurt—Berlin auf dem Weg zum Speisewagen, in dem er sich etwas zu trinken holen will, in mehreren Wagons die Toiletten wegen seines Durchfalls. In einem gut gefüllten ICE können sich schnell mal 800 Reisende, wechselnder Zusammensetzung aufhalten. Wo stellen wir die Passagiere für mehrere Wochen unter Quarantäne? Ich weiß es nicht, aber mit Sicherheit nicht in den Betten auf den wenigen vorhandenen Insolierstationen.

2 Kommentare

  1. […] ich schon an anderer Stelle schrieb, wissen wir nicht wirklich, wie sich ein Ebola-Ausbruch in unseren Breiten mit ihrer […]

  2. […] passive Verhalten der Bundesregierung in dieser Sache gleicht dem in der Ebolakrise (hier, hier, hier ). Auch dort hat man vollkommen unprofessionell agiert und solange abgewartet, bis das Problem so […]

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