Böhmermanns Dichtkunst

Es ist immer wieder erstaunlich, wie vordergründige Lappalien für Tage Politik und Presselandschaft einer Industrienation beschäftigen können, als ob es keinerlei andere Probleme gäbe. Ich spreche von der Aufregung um das Erdoğan-Gedicht von Jan Böhmermann.

Vorneweg, ich sehe die Sendung „Neo Magazin Royale“ nicht und habe auch erst nach der Aufregung um das Gedicht mir diese eine Sendung runtergeladen und komplett angesehen. Aus der Mediatehk und von YouTube ist sie ja recht schnell verschwunden, aber auf Vimeo (45 min, 450 MB) noch erhältlich.

Das Gedicht ist starker Tobak und es ist nachvollziehbar, warum der Angesprochene tobt wie Rumpelstilzchen, aber überschreitet es auch die Grenze des Erlaubten in der Meinungsfreiheit? Ob Erdoğan wirklich gut beraten war, hier eine juristische Fehde anzufangen, auch wenn es sein Recht ist, ist fraglich und steht auf einem anderen Blatt, aber der Streisand-Effekt hat den Beitrag erst gnadenlos einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Alles in Allem kann man Jan Böhmermann nur raten bis auf Weiteres auf jegliche Reisen in die Türkei zu verzichten.

Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdoğan der Präsident.

Sein Gelöt stinkt schlimmer als Döner,
selbst ein Schweinepfurz riecht schöner.

Er ist der Mann der Mädchen schlägt,
und dabei Gummimasken trägt.

Am liebsten mag er Ziegen ficken,
und Minderheiten unterdrücken.

Kurden treten, Christen hauen,
und dabei Kinderpornos schauen.

Und selbst Abends heißt’s statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.

Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.

Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.

Von Ankara bis Istanbul,
weiß jeder, dieser Mann ist schwul.

Pervers, verlaust und zoophil
Recep Fritzl Priklopil.

Sein Kopf so leer, wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbangfeier.

Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdoğan, der türkische Präsident.

Objektiv muss man feststellen, daß jeder einzelne Vers eine grobe Beleidigung darstellt und punktgenau (Homosexualität, Männlichkeit, Schweinevergleich) darauf abzielt, einen patriarchalen Moslem zu provozieren, zumal es schon lange offensichtlich ist, daß Erdoğan ziemlich dünnhäutig ist. Für sich alleine genommen sehe ich darin auch nicht unbedingt Satire, mir fehlt der überspitzend dargestellte Sachbezug. Insofern muss ich hier, auch wenn es mir schwerfällt, Fr. Merkel ausnahmsweise zustimmen, wenn sie die Zeilen als einen „bewusst verletzenden Text“ bezeichnet. Ich halte das für treffend formuliert, es ist keine Satire, sondern einfach nur ein schmähender Spottvers. Die darin gemachten Aussagen würden nur dann unter Meinungsfreiheit fallen, wenn ein Sachbezug erkennbar wäre oder es sich um Tatsachenbehauptungen handeln würde. Sinn und Zweck der Zeilen ist die bloße Provokation. Andererseits ist Erdoğan ein übler Islamist und ein derartiges Spottgedicht auf ihn steht in keinem Verhältnis seinem gewalttätigen Vorgehen gegen seine Kritiker. Wenn einer mit Sicherheit vor Gericht gehört, dann er, aber ein Unrecht kann nicht einfach gegen ein Anderes aufgerechnet werden.

Nun wurde das Gedicht allerdings nicht einfach nur so frei im Raum platziert, sondern es gab Vorbemerkungen dazu, mit denen es Böhmermann in einen Rahmen stellte, um es als Satire ausgeben zu können. Aufhänger für den Beitrag war das satirische Video von extra3, welches mit Sicherheit satirisch ist, da es einen konkreten Sachbezug hat und diesen in humoristischer Form darstellt, auf Grund dessen der deutsche Botschafter in der Türkei von Erdoğan einbestellt worden war. In den Minuten vor der Rezitation erklärt er Erdoğan, welche Äußerungen in Deutschland strafbar sind und welche nicht, wobei das Gedicht als Anschauungsbeispiel für strafbewehrte Aussagen dienen soll. Er legt dar, wie man es nicht machen darf. Wohl ein klassischer Fall von uneigentlichem Sprechen.

Offen ist jetzt noch die Frage, ob die Intention von Böhmermann tatsächlich die Beleidigung Erdoğans war. Für mich sieht es schon danach aus, als ob es Böhmermanns Ziel war, auf das extra3-Video noch einen drauf zu legen, um Erdoğan erst richtig aus der Reserve zu locken, was ihm zweifelsohne gelungen ist. Für die These sprechen meiner Meinung nach die türkischen Untertitel, die sich nur auf das Gedicht beziehen, aber den Kontext außer acht lassen, es also wieder seines Rahmens berauben. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Richter hier urteilen werden. Ich persönlich halte nicht viel von einer Verurteilung, da ich schon immer für eine sehr weitgefasste Meinungsfreiheit war.

Aber vielleicht hat die Sache auch etwas Gutes an sich und die Politik sorgt endlich dafür, daß die Paragraphen zur „säkularen Majestätsbeleidigung“ §103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) und §90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten) ersatzlos gestrichen werden. In einer säkularen, ständefreien Republik gibt es keinen Grund, warum es für den Plebs einen anderen Paragraphen (§185 StGB) geben sollte. Im Gegenteil, denn im Grunde widerspricht die Existenz von drei Paragraphen zur Ahndung von Beleidigung, die je nach Stand der Person mit unterschiedlicher Strafandrohung zur Anwendung kommen, dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.

Nachtrag 13.04.2016:

Mal wieder zweierlei Maß in der Politik:

Angesichts der Vorwürfe gegen Böhmermann betonte die Chefin der Länder-Rundfunkkommission, Malu Dreyer (SPD), die Bedeutung der Meinungsfreiheit. „Die Freiheit der Presse, der Meinung und der Kunst in unserem Land ist ein hohes Gut“, teilte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin der Deutschen Presse-Agentur mit. „Es ist von unserem Grundgesetz geschützt und nicht verhandelbar.“

Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist nicht schrankenlos, Tucholskys „Satire darf alles“ gilt eben nicht im juristischen Sinne. Aber jetzt auf einmal soll sie unverhandelbar sein und das bei der sozialpopulistischen SPD? Die SPD und andere Linke mit ihrer „political correctness“ und dem Genderwahn sind es doch, die sich gerade den Titel als Totengräber der Meinungsfreiheit fleißig erarbeiten. Hätte jemand von der AfD oder von einer anderen ungeliebten Ecke des politischen Spektrums diese Verse losgelassen oder gar auf Facebook gepostet, wäre die Entrüstung groß und es würde von der Unerträglichkeit der „Hate Speech“ gesprochen werden. Justizminister Maas würde wieder persönlich den Druck auf Facebook erhöhen, entsprechende Beiträge umgehend zu löschen.

2 Kommentare

  1. Armin Gorius sagt:

    Je länger ich mich mit der Causa Böhmermann beschäftige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass Herr Böhmermann hier einen nie dagewesenen und wohl in die Geschichte eingehenden Coup gelandet hat. Er nimmt dafür sogar in Kauf, dass er verurteilt wird. Wenn dies der Fall sein sollte, weiß er aber auch, dass er keine sonderlich hohe Strafe zu erwarten hat, wenn man die Strafzumessung für wahre Verbrecher in Deutschland als Vergleich heranzieht. Klar ist mit Sicherheit, dass Herr Böhmermann mit seinem Schmähgedicht provozieren wollte. Er hat aber, und das ist für mich wiederum sehr entscheidend, einen Prolog vorausgeschickt, den man natürlich auch, eine nötige geistige Potenz vorausgesetzt, verstehen muss. Für mich ist es eine pure und bewusste Provokation, auf die Herr Erdogan natürlich, so kennt man ihn ja, sofort angesprungen ist. Dass er damit einen gewissen Streisand-Effekt ausgelöst hatte, genau das hatte Herr Böhmermann wohl beabsichtigt, war ihm wohl nicht bewusst. Für mich keine Überraschung, da dieser Herr ja wohl die meiste Zeit damit beschäftigt ist, seinen Machterhalt mit legalen und auch nicht ganz so legalen Mitteln, milde ausgedrückt, zu sichern. Falls Herr Erdogan vor Gericht obsiegen sollte, wird es für ihn bestenfalls ein Pyrrhussieg sein, er wird dabei mehr verlieren als gewinnen, denn, und dessen bin ich mir sicher, werden in dem Prozess Dinge beim Namen genannt, die nur für eine Person mehr als unangenehm sein werden. Für mich immer wieder eine Überraschung: Was die gesamte moralische Weltpolitik in der Vergangenheit nicht erreichte, trotz aller diplomatischer Proteste, erreicht ein „kleiner Hund“, der einem großen „Nichtmoralisten“ mit einem schmutzigen und provozierenden Gedicht an´s Bein gepinkelt hat. Ich bin gespannt, wie die Sache ausgeht.

  2. […] ist Doppeldeutigkeit ist nun mal ein wesentliches Merkmal von Satire. Jetzt sind nicht mal mehr Schmähgedichte auf ausländische Staatspräsidenten notwendig um Löschaufforderungen in die Welt zu setzen. Merke: Satire über die Guten® ist […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert