Hannelore Kraft wirbt für Zensur im Internet

Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat in ihrer Eröffnungsrede beim 28. Medienforum NRW die Schaffung eines „Netzkodex NRW“ als Maßnahme gegen die Verbreitung von Hasskommentaren vorgeschlagen (meedia.de). Nachfolgend ein paar Anmerkungen zu ihrem Vorschlag des Netzkodex NRW aus dem ersten Teil ihrer Rede. Zum zweiten Teil ihrer Rede ließe sich auch so Einiges einwenden, aber das wäre ein vollkommen anderer Themenschwerpunkt.

Und unabhängig davon wie stark ein Netzwerk ist, muss es dafür sorgen, dass Strafbares verschwindet. Ich sage jetzt ganz bewusst: So schnell wie möglich. Das geht, wenn man die entsprechenden Prioritäten setzt und Verantwortung übernimmt.

Wenn Strafbares nicht verschwindet, liegt entweder Justizversagen vor, es war nicht im Sinne des Gesetzes justiziabel, mithin nicht strafbar oder es befindet sich außerhalb der zuständigen Gerichtsbarkeit. Das hat also erstmal mit „Verantwortung übernehmen“ reinweg nichts zu tun. Auch sollte sie mal genauer erklären, warum überhaupt jemand für die Meinung(säußerung) eines Anderen Verantwortung übernehmen sollte. Abgesehen davon reden Politiker immer nur dann von Verantwortung übernehmen, wenn es andere betrifft, die sie gerne reglementiert sehen wollen, sie selber sind die Ersten, die sich aus ihrer Verantwortung stehlen, wenn sie etwas in den Sand gesetzt haben.

Ich weiß, dass gerade die klassischen Medienhäuser hier in Deutschland, Verlage wie Rundfunk, einen enormen Aufwand betreiben, z.B. ihre Foren zu moderieren. Aber es machen eben nicht alle, die online Inhalte verbreiten und dazu Kommentarfunktionen anbieten. Und das macht und das schafft Probleme. Welche Konsequenzen ziehen wir daraus?

Nachtigall ick hör Dir trapsen. Ob es Frau Kraft an dieser Stelle bereits bewusst war, daß es Internetforen nicht nur in NRW, ja sogar außerhalb von Deutschland gibt? Sie möchte also die sozialen Netzwerke (die bereits auf ihre Art löschen, wenn es für sie politisch/ökonomisch opportun ist), Blogs und andere Orte mit Foren unter Kontrolle bringen. Die heimischen Verlage sind es ihrer Meinung wohl bereits.

Wir haben vor 14 Tagen im Rahmen unserer Werkstatt Reihe „Digitale Gesellschaft NRW.EU“ in Brüssel mit vielen Engagierten zum Thema „Digitaler Hass“ diskutiert.

Schön daß sie das diskutiert haben und wie lautet nun das Ergebnis? Vielleicht wäre man weiter gekommen, wenn man sich lieber mit dem Hass auf’s Digitale bei Politikern beschäftigt hätte. Diese ganzen Diskussionen kranken an dem Umstand, daß vorher keine genauen Begriffsdefinitionen, hier zu Hass und Hetze, vereinbart werden, lieber redet man weiter mit schwammigen Begriffen, damit jeder was zum Thema sagen kann. Gerade die SPD ist doch zu einem Meister darin geworden, alles was nicht ihrer Meinung entspricht als Hass zu titulieren.

Dazu schlage ich vor, dass sich die Verlage hier in NRW, dazu die Gremien und Senderverantwortlichen von WDR, DLF, Deutsche Welle, RTL sowie die LfM, die Produzenten, gemeinsam mit weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft, den Kirchen, den Journalistenverbänden, den Gewerkschaften und der Politik zusammensetzen und einen solchen Kodex erarbeiten.

Ach so, das betrifft alles nur NRW. Wenn deutsche Politiker vom Internet reden erinnert mich das immer an den Witz vom Grafen Bobby, der in den Laden kommt und einen Globus von Österreich-Ungarn haben will. Wie fast alle Politiker kann auch Fr. Kraft sich nicht von der Vorstellung des Internets als Rundfunk lösen. Was genau haben die Rundfunkverantwortlichen und vor allem die Produzenten — daß Fr. Kraft nur Rosamunde-Pilcher-Kommentare lesen möchte ist zwar nachvollziehbar, aber darauf hat sie und alle anderen nun mal keinen Anspruch — mit den Kommentaren auf Webseiten und sozialen Netzwerken zu tun?

Die Kirchen als Internetregulatoren? Das hätten die bestimmt gerne. Aber das Ganze wird noch „hochinteressant“ werden, denn da der Islam nun offiziell zu Deutschland gehört, würden im Sinne der grundgesetzlichen Gleichbehandlung auch Islamverbände wie der Zentralrat der Muslime mit am Tisch sitzen. Anders ausgedrückt, die von Erdoğan gesteuerte türkische Religionsbehörde würde darüber mitbestimmen, welche Meinungen in Deutschland erscheinen. Bravo! Ich könnte mir vorstellen, daß Erdoğan demnächst Fr. Kraft für diesen Vorschlag den Orden „Heldin des Türkentums am rotbraunen Bande“ verleiht.

Hinzu kommt, daß die aufgezählten Gruppen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern über die Rundfunkräte bereits involviert sind, also dann zweimal am Verhandlungstisch sitzen würden.

Wer genau sollen „weitere Akteure der Zivilgesellschaft“ sein? Da sie von der SPD ist, dürften damit wohl linksextreme Gruppierungen wie die Amadeu Antonio Stiftung gemeint sein, die bereits jetzt von Justizminister Heiko Maas bei seinen Zensurbestrebungen an der Juridikative vorbei federführend beteiligt werden und staatliche Unterstützung genießen.

Das, was Fr. Kraft hier vorschlägt hört sich für mich wie eine Neuauflage der Internetsperren von Ursula von der Leyen („Zensursula“) an. Wenn auch nicht thematisch, so jedoch prinzipiell. In beiden Fällen sollen unerwünschte Inhalte dem Bürger nicht zugänglich sein, aber da man keine rechtsstaatlichen bzw. grundgesetzkonformen Regelungen hinbekommt (vielleicht auch gar nicht will), wird versucht mit den im weitesten Sinne technisch Beteiligten Vereinbarungen privatrechtlicher Natur zu treffen, bestimmte Inhalte auszufiltern.

Selbst wenn dieses Verfahren rechtlich korrekt wäre, was es nicht ist¹, stellen die langfristigen Konsequenzen dieser Vorgehensweise eine substantielle Gefährdung für Demokratie und Meinungsvielfalt dar. Der Zweck solcher Kodizes ist immer eine Vereinheitlichung, also genau das Gegenteil von Pluralismus. Darüberhinaus wird die Flexibilität im Internet unterschätzt. Verschwinden die andersmeinenden Kommentare von den Seiten der (noch) großen Medien, tauchen sie halt an anderer Stelle auf. Das ist ein Hase-Igel-Spiel. Die Forderung nach Regulierung aller Internetseiten (bspw. Blogs etc.) ist die bereits jetzt absehbare logische Weiterentwicklung eines Netzkodex NRW.

Abseits der rechtlichen Rahmenbedingungen, wie soll dieser Kodex rein praktisch funktionieren? Warum sollte sich jemand daran halten, außer er ist auf Parteilinie? Welche Konsequenzen hat er von wem zu befürchten, wenn er sich nicht daran hält und vor allen Dingen, wie will man die Bürger von NRW vor „unangebrachten“ Kommentaren von außerhalb der Grenzen von NRW schützen?

Einen wichtigen Beitrag kann dabei auch das NRW-Konsortium leisten, das gerade – als eines von fünfen bundesweit – ausgewählt wurde, um ein Konzept für ein Deutsches Internet-Institut zu erarbeiten.

Hier kommt jetzt dieses ominöse „Internet-Institut“ mit ins Spiel. Bisher dachte ich, es geht dabei nur um die Schaffung neuer Posten, um treue, aber ansonsten unbedarfte Parteigenossen nach ihrer politischen Laufbahn auf Staatskosten weiter zu alimentieren. Jetzt soll es zu einem Quasi-Zensurinstitut des Internet weiterentwickelt werden.

Ziel soll es sein, in den nächsten Monaten, möglichst konkrete Vereinbarungen zu erzielen, die dann auch in konkretes politisches Handeln münden. Dieser Netz-Kodex soll NRW verbinden und zusammenhalten.

Konkrete Vereinbarungen nennt man Verträge. Es sollen Verträge abgeschlossen werden, welche Inhalte als genehm zu betrachten sind und welche nicht. Wie bei von der Leyen damals, allerdings forderte diese sogar geheime Vereinbarungen. Diese Verträge sollen dann zu politischem Handeln führen. Hier bekommen wir das Druckmittel für diejenigen, die sich nicht an die Verträge halten und im Ergebnis eine perfide Form der Zensur für alle, vergleichbar mit der Einführung einer Störerhaftung für Meinungsäußerungen. Nicht der, der die Meinung äußert wird haftbar gemacht, aus Politikersicht sogar verständlich, denn das ist zu aufwendig, zu ineffektiv und zu langsam, sondern diejenigen, die die Veröffentlichung nicht unterbunden haben. Natürlich wird niemand von Zensur reden, denn der Meinungsäußerer bleibt schließlich weitestgehend unbehelligt, nur die Plattformen werden zu rigider Auslese „angehalten“.

Viel bedenklicher an der Angelegeheit ist aber, die erschreckend zahme Reaktion der Medien. Ein Ministerpräsident will Verträge mit den Medien abschließen, die massiv in die Meinungs- und Pressefreiheit eingreifen und es rührt sich praktisch kein Widerspruch. Eine freie, pluralistische Presse, die vierte Gewalt im Staate als die sie sich gerne selbst darstellt, müsste dieses Ansinnen umgehend lautstark als inakzeptablen Eingriff bereits im Keim versuchen abzuwehren. Bei der FAZ sieht man das als „Schnappsidee der Ministerpräsidentin“, aber es ist weitaus mehr. Dahinter verbirgt sich eine demokratiegefährdende Geisteshaltung, mit der Fr. Kraft allerdings in der Politik, insbesondere in der SPD, nicht alleine dasteht.


1 Urteil BVerfG 1 BvR 699/06

Der Staat könne sich seiner Grundrechtsbindung durch eine „Flucht ins Privatrecht“ nicht entziehen.
[…]
Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen.

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